„Das Floß der Medusa“bei Wien Modern: Rückschau auf die einstige Avantgarde
Kritik. Schreiduelle, Schlägereien, ein Polizeieinsatz und eine letztlich geplatzte Uraufführung – Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Nur was 1968 in einer politischen sehr aufgeheizten Stimmung die Menschen bewegte, muss im Jahr 2017 nicht zwangsläufig ähnliche Reaktionen hervorrufen.
Ganz im Gegenteil. Denn zur Eröffnung der 30. Ausgabe des Festivals Wien Modern hielt man im Konzerthaus eher eine freundliche Rückschau auf die einstige Avantgarde und würdigte Henze mit einem sanft dahinfließenden „Floß der Medusa“.
Basierend auf den wahren Ereignissen schildern Henze und sein Librettist Ernst Schnabel in ihrer musikalischen Parabel die Schiffstragödie von 1816, bei der die nach Senegal segelnde Fregatte Medusa auf eine Sandbank lief, die Mächtigen sich danach retteten, während sie die Seeleute auf einem Floß ihrem Schicksal überließen. Einst Signal und Anlass zum Klassenkampf; „Ho, Ho, Ho Chi Minh“-Chöre inklusive.
Heute hingegen wirkt das Werk mit seinen Chören, Disharmonien, Ruhepausen und Klagen der Toten etwas handzahm. Und das, obwohl Dirigent Cornelius Meister, das sehr gute ORF Radio-Sym- phonieorchester Wien, die Wiener Sängerknaben, der exzellente Arnold Schoenberg Chor sowie die Solisten Dietrich Henschel (Bariton) und Sarah Wegener (Sopran) musikalisch meist überzeugten, ja eigentlich alles ziemlich richtig machten.
Die von Henze wohl intendierte Dringlichkeit des Ganzen war jedoch am Besten bei Sven-Eric Bechtolf als Sprecher aufgehoben; in seinen stark rhythmisierten Erzählpassagen wurde die humanitäre Katastrophe, das permanente Ringen um Leben und Tod gut erfahrbar. Und das Publikum dankte allen mit Jubel.