Die schwierigste Entscheidung
Wann wird die Anti-Tumortherapie beendet? Experten diskutierten in Wien
Welche Entscheidung ist eine der schwierigsten – wenn nicht die schwierigste – im Spitalsalltag? Deutsche Klinikchefs wurden dazu befragt. „Es ist die Entscheidung gegen eine weitere tumorspezifische Therapie und für eine reine Kontrolle der Symptome“, sagt die Onkologin Eva Winkler, Leiterin des Schwerpunkts „Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie“an der UniKlinik Heidelberg. Sie war eine der Referentinnen beim Herbstforum der Veranstaltungsreihe „chronisch_konkret“des „Haus der Barmherzigkeit“im Studio 44 in Wien. Diese fand in Kooperation mit AbbVie Österreich, den Österreichischen Lotterien und dem KURIER statt.
Eine Studie am Uni-Klinikum München mit fortgeschrittenen onkologischen Patienten, deren Lebenserwartung ein halbes Jahr bis Jahr betrug, zeigte: Ein Drittel will „um jeden Preis Lebenszeit gewinnen“; ein Drittel wünscht sich in erster Linie Lebensqualität – also eine Behandlung, die die Symptome kontrolliert, aber nicht unbedingt dazu führt, dass sich die Lebenszeit verlängert; ein weiteres Drittel ist ambivalent.
„In der Öffentlichkeit gibt es sehr stark die Diskussion, wie sich Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung vor einer Übertherapie schützen können.“In der Praxis führe aber eine andere Situation viel eher zu Konflikten: Dass Ärzte zwar sagen, dass der Nutzen einer weiteren Behandlung fraglich ist und Nebenwirkungen sehr wahrscheinlich sind – dass aber „der Patient und die Familie jedoch darauf bestehen, dass man unbedingt alles machen soll, was möglich ist. Also etwa noch eine Chemotherapie, und man nicht nur die Schmerzen behandeln soll.“
Dies liege zu einem guten Teil auch daran,, „dass wir unsere Patienten nicht gut und zu spät informieren. Und wir kommunizieren häufig viel optimistischer als es unserer eigenen Einschätzung entspricht – das ist verständlich, aber so haben Patienten keine Chance, sich mit realistischen Prognosen auseinan- derzusetzen“, so Winkler. Das aber führe zu unrealistischen Erwartungen und befördere den Wunsch nach Maximaltherapie.
Hingegen habe sich gezeigt: Werden Patienten frühzeitig in Gespräche einbezogen, wann ein Verzicht auf eine weitere tumorspe- zifische Therapie sinnvoll sein könnte, steige die Patientenzufriedenheit. „Wir haben auch eine Leitlinie entwickelt, wie und wann solle Gespräche geführt werden sollen.“
Soziale Faktoren
„Wir reden unter dem Namen ,Krebs‘ von mehr als 1000 vollkommen verschiedenen Krankheiten“, so der Hämatologe und Psychoonkologe Alexander Gaiger von der MedUni Wien. „Seelische Faktoren spielen keine Rolle für die Entstehung einer Tumorerkrankung – aber für ihren Verlauf spielen sie eine große Rolle.“So haben Menschen bei gleicher Erkrankung fast doppelt so hohe Depressivitätswerte (stärker ausgeprägte Symptome), wenn sie in Armut leben. „Wer hingegen in einem guten sozialen Netzwerk lebt, hat eine deutlich niedrigere Depressivität. Geld macht vielleicht nicht glücklich, aber es hilft, wenn man krank ist.“
Alexander Gaiger ist auch Leiter der Abteilung Onkologische Rehabilitation im „Lebens.Med Zentrum Bad Erlach“, NÖ. Ängstlichkeit, Depressivität, Müdigkeit und geringe Lebensqualität – alles ist nach einem Reha-Aufenthalt deutlich geringer, „selbst posttraumatische Belastungstörungen verbessern sich“. Diese Effekte gab es unabhängig vom Einkommen. „Zwar profitierten Menschen in einer besseren ökonomischen Situation stärker, aber auch jene, die in Armut leben, profitieren sehr stark.“
In der Medizin werde derzeit viel über „Tumor Mikroenvironment“gesprochen – also das unmittelbare Umfeld eines Tumors im Organismus. „Aber ich möchte den Begriff des ,Tumor Makroenvironments‘ hier einführen – also die Wechselwirkung von körperlichen, seelischen und sozialen Faktoren, die den Verlauf einer Tumorerkrankung hochsignifikant beeinflussen.“
In vielen Studien zeige sich, dass geringe Bildung und geringes Einkommen das Risiko, an Krebs zu sterben, erhöhen. Gaiger: „Aber kennen Sie eine Ambulanz, die den sozioökonomischen Status der Patienten berücksichtigt?“