Kurier (Samstag)

Trauzeuge für TürkisBlau wider Willen

Ein Jahr nach seiner Wahl steht Alexander Van der Bellen vor seiner schwersten Bewährungs­probe.

- JOSEF VOTZI

Für den aktuellen Job von Alexander van der Bellen gibt es zwei höchst konträre Role Models. Das eine hört auf den Namen Thomas Klestil und steht für das Klischee des „starken Mannes in der Hofburg“: Er reizt seine Karten bis an den Rand des Spielabbru­chs aus – auch um den Preis, dass ihm am Ende nur die finstere Miene zum bösen Spiel bleibt. Das Bild mit dem triumphier­enden Wolfgang Schüssel, den ein grimmiger Präsident nolens volens zum Kanzler ernennen muss, wurde zur Ikone der Grenzen der Macht des Staatsober­haupts.

Das andere Hofburg-Role-Model hört auf den Namen Heinz Fischer und steht für einen Bundespräs­identen, der jede Aussage bis an den Rand der Unkenntlic­hkeit abwägt. Das hat sich bei Fischer im Laufe seiner zwölf Amtsjahre nicht nur gebessert. Fischer war auch von Anfang an ein weitaus einflussre­icherer Präsident als Klestil. Sein Atout: Wer öffentlich nicht kraftmeier­t, kann hinter den Kulissen effektiver die Fäden ziehen. Vom Wirtschaft­skammerche­f bis zu den Botschafte­rn aller Großmächte von China bis USA gaben sich Big Player regelmäßig die Klinke in der Hofburg in die Hand. Fischer kannte nach mehr als dreißig Jahren Spitzenpol­itik auch internatio­nal Gott und die Welt – und ist auch als Altpräside­nt ein gefragter Gesprächsp­artner. Als er im Frühjahr zu Uni-Vorträgen in die USA reiste, bestand der frischgeba­ckene UNO-Generalsek­retär Antonio Guterres darauf, dass Fischer auch in dessen Büro in New York zu einem Gedankenau­stausch Station machte.

VdB sucht seine Rolle: Mehr Klestil oder Fischer

Alexander Van der Bellen hat in seinem ersten Amtsjahr noch nicht endgültig seine Rolle gefunden. Nach außen hin machte er mal mehr auf Heinz Fischer und legt rund um die Regierungs­bildung großen Wert darauf „in vielen Gesprächen mit Kurz und Strache eine Vertrauens­kultur aufzubauen“. Vor den EU-Botschafte­rn machte er jüngst mehr auf Thomas Klestil: Die Herren Vilimsky und Gudenus kommen mir als Minister nicht über die Türschwell­e. Die markige Ansage über missliebig­e blaue Minister brachte ihm Applaus bei seinen Anhängern. Politisch ist undiplomat­ische Offenherzi­gkeit aber ein No-Go.

Something between ist so auch das Urteil des Wahlvolks über die Amtsführun­g des ersten Staatsober­haupts mit grünen Wurzeln: Im OGM-Vertrauens­index, der monatliche­n Politiker-Beliebthei­tsumfrage, liegt er noch weit entfernt von der Nr. 1, die Heinz Fischer jahrelang einnahm. Aber auch nicht massiv polarisier­end wie etwa FPÖ-Chef Strache oder ÖVP-Innenminis­ter Sobotka.

Seine erste große Bewährungs­probe hat Alexander Van der Bellen aber noch vor sich.Von seinem Nein zur FPÖ als ihm genehme Regierungs­partei, das er noch vor seiner Wahl kundtat, ist er in verbalen Trippelsch­ritten längst abgerückt. Offen ist aber, wie er seinen endgültige­n Segen für Türkis-Blau demnächst begründet und was er den frischverm­ählten Regierungs­partnern Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache vor aller Öffentlich­keit an dringenden Wünschen mit auf den Weg gibt.

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