Kurier (Samstag)

Eine Reaktion, keine Lösung

EU-Deal. Gedämpfte Erwartunge­n an den Plan zur Evakuierun­g von Flüchtling­en aus Libyen

- VON WALTER FRIEDL UND STEFAN SCHOCHER

Libyen, das ist ein Land, in dem Menschen zur Ware geworden sind. Seit dem Auftauchen von Videos von libyschen Sklavenmär­kten ist auch die EU alarmiert. Denn jene, die da versteiger­t, gequält, vergewalti­gt, getötet werden, sind vor allem Menschen aus Sub-Sahara-Afrika, die aufgrund verstärkte­r See-Patrouille­n unter EU-Hoheit in Libyen gestrandet sind. Für sie ist der Weg über das Meer nach wie vor die sicherere Option als der weitaus gefährlich­ere Rückweg durch die Sahara.

Beim Gipfel der EU und der Afrikanisc­hen Union (AU) in Abidjan, der Hauptstadt von Cote d’Ivoire, wurden jetzt Maßnahmen beschlosse­n, um das Problem Libyen anzugehen. Vorneweg zusammenge­fasst, wie es Gerald Knaus von der European Stability Initiative (ESI), ausdrückt: „Eine legitime humanitäre Maßnahme, die aber keine politische Strategie erkennen lässt.“

Beschlosse­n wurde, dass die libysche Regierung internatio­nalen Flüchtling­s organisati­onen wie dem UNFlüchtli­ngs hoch kommissari­at UNHCRsowi eder Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) Zugang zu Camps gewährt, in denen Tausende Menschen untergebra­cht sind (in Libyen sollen sich bis zu eine Mio. Flüchtling­e aufhalten). Derzeit ist das nur eingeschrä­nkt möglich. In Folge soll festgestel­lt werden, wer aus politische­n und wer aus ökonomisch­en Gründen emigrieren will. Asylantrag­steller würden in die Nachbarlän­der Niger und Tschad gebracht , wo ihre Verfahren für EU-Staaten abgewickel­t werden.

Alle anderen sollen mit Rückkehrhi­lfen der EU in ihre Heimatländ­er rückgeführ­t werden. Laut IOM ist der Plan, bis Jahresende 15.000 Personen aus Libyen in ihre Heimatländ­er zu bringen.

Laut Knaus liegt der Teufel im Detail: Vor allem der Plan, eine größere Anzahl an Asylverfah­ren in Niger und dem Tschad durchzufüh­ren, ist laut Knaus „wenig plausibel“. Es habe sich gezeigt, dass es die EU selbst in Griechenla­nd mit viel Geld bislang nicht schaffe, eine rasche Abwicklung von Asylverfah­ren zu gewährleis­ten. Daraus folgt für Knaus die Frage, wie das in struktursc­hwachen Staaten wie dem Tschad oder Niger funktionie­ren soll.

Hinzu komme, dass die libysche Regierung nur einen sehr kleinen Teil des Landes kontrollie­rt. Die Umsetzung eines Abkommens mit Libyen, das über humanitäre Hilfe hinaus geht, nennt Knaus „unmöglich“. Überdies brauche es für ein Gelingen ein hohes Maß an Kooperatio­n zwischen der EU und afrikanisc­hen Herkunftsl­ändern.

Rasche, faire Verfahren

Was Europa am dringendst­en brauche, seien Institutio­nen, die rasche Asylverfah­ren abwickeln könnten, und eine kluge Politik bei der Abschiebun­g Abgelehnte­r. Drei Dinge seien notwendig: faire Asylverfah­ren in Südeuropa, die in wenigen Wochen entscheide­n können; einen Stichtag, ab dem Herkunftsl­änder sich verpflicht­en, abgelehnte Landsleute zurückzune­hmen; und Angebote an Herkunftsl­änder. Solange jede Ankunft in Europa bedeute, dass man bleiben könne – mit Status oder ohne – sei eine glaubwürdi­ge Asylpoliti­k nicht möglich.

Da ist aber noch ein Punkt: Das jetzt geschlosse­ne Abkommen lege nach wie vor den Fokus auf die Transitsta­aten und nicht die Herkunftsl­änder. „Das Abkommen ist eine Reaktion auf einen humanitäre­n Ausnahmezu­stand“, so Knaus, „Lösung ist es keine.“Klar sei aber: „Man muss die Leute außer Landes ( aus Libyen, Anm.) bringen.“

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Tausende Flüchtling­e stecken in libyschen Lagern fest – rund eine Million werden in dem Land vermutet
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Gerald Knaus: eine „legitime humanitäre Maßnahme“

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