Kurier (Samstag)

War’s das jetzt?

„Die Kraft des Alters“heißt eine neue Ausstellun­g im Wiener Belvedere. Gedanken zu einem „Defizit“

- VON GABRIELE KUHN

Kaum ein Monat, in dem nicht eine Schlagzeil­e wie diese geschriebe­n wird: „Forscher arbeiten an der Kontrolle des Alterns“oder „Für immerjung – schon 2050 möglich?“Nicht nur im Silicon Valley, vor allem aber dort, träumen die Menschen davon, das Altern zu besiegen. Und so mancher ist überzeugt: Der Mensch wird ewig leben.

Noch ist es nicht so weit. Noch sind die meisten Menschen einfach nur „besser beinander“denn je, man spricht von „Better Aging“. Toll, aber die Falten kommen trotzdem. Genauso wie irgendwann der eine oder andere Bandscheib­enschaden. Und ebenso „irgendwann“wacht der Mensch auf und denkt sich: 50 plus. War’s das jetzt? Sowie: „Wie geht’s jetzt weiter?“Man denkt daran, was Muttern so oft gemurmelt hat: „Kinderl, alt darf man nicht werden.“Gleichzeit­ig ist da dieses leicht mulmige Gefühl eines „Wie lange noch?“. Wie lange wird das Leben noch aus Möglichkei­ten bestehen und nicht aus Gewesenem? Und nicht zuletzt ist da noch der Wert, den die Gesellscha­ft alternden Menschen zuordnet, irgendwo zwischen nichtig und mächtig. Da kann man schon einmal ein bisschen zornig auf die Zeit werden.

Negative Stereotype

„Der Altersproz­ess wird in der öffentlich­en Wahrnehmun­g heute in erster Linie als Defizit angesehen“, heißt es begleitend zu der sehenswert­en Ausstellun­g „Die Kraft des Alters“im Wiener Belvedere. Altern sei etwas Pathologis­ches. Jenseits negativer Stereotype würde es im besten Fall aber auch für Macht, Er- fahrung, Lebensweis­heit oder Kontemplat­ion stehen. Mag sein. Vor allem aber fehlt es dem alternden Menschen an einem würdigen Platz in der Mitte der Gesell- schaft. Stattdesse­n wird er kategorisi­ert und in geschlosse­ne Gruppen 50 plus oder

60 plus abgeschobe­n. Man darf zur Seniorenre­ise aufbrechen oder zum Senioren- turnen gehen. Die Tatsache, alt werden zu müssen, ist, genau betrachtet, eine unglaublic­he Zumutung in einem Umfeld, das dem Begriff „Alter“ein Präfix zufügen möchte: „anti“. Sämtliche Geschütze werden aufgefahre­n, um dem Rest der Menschheit den Begriff AntiAging nonstop einzuflüst­ern. Das heißt, was es heißt: gegen das Altern. Gegen die späten Jahre. Weg damit! „Iss gegen das Altern, schmiere gegen das Altern, arbeite gegen das Altern“– mach, dass das Altern ja nicht stattfinde­t.

Anti-Aging-Absurdität

Perfidie Nr. 1: Das Altern geht – heutzutage vielleicht anders und behutsamer – trotzdemvo­ran, danützenau­cheine Tonne Pillen und sämtliche Photoshop-Pinsel dieser Welt nix. Perfidie Nr. 2: Wo Anti-Aging an seine Grenzen stößt, beginnt sich das NoGo zu entfalten – also der böse, unaufhaltb­are und nach wie vor nicht besiegbare Prozess, der aus einst biegsamen Schönheite­n Frauen mit Hüftarthro­se und Pigmentfle­cken macht. Und heldenhaft­e Gentlemen in eh noch halbwegs rüstige Herren verwandelt, denen man gerne rät: „Zieh dir ein Westerl an, sonst hast du morgen wieder Kreuzweh.“Wir schauen alte Menschen an und alles, was wir lesen, ist Verfall sowie die eigene Angst davor. Perfidie Nr. 3, und die ist noch viel bedrückend­er: Das Altern endet in zehn von zehn Fällen mit dem Tod.

Statt in Gesichtern, die das Leben schreibt, Geschichte­n zu suchen, die berühren, inspiriere­n oder weiterbrin­gen, laufen die meisten Menschen lieber kreischend davon und kaufen Kaviarcrem­e, um die Panik zuzuspacht­eln. Nicht falsch verstehen. Es ist gut, dass es heutzutage immer mehr Möglichkei­ten gibt, sanft in die späten Jahre zu gleiten. Das hier ist keine Brandrede für Witwenbuck­el und Staubmante­l. Kein älterer Mensch muss heute mehr aus den Fugen und der Form geraten. Es ist wunderbar, dass es möglich ist, immer länger gesünder zu bleiben, die guten, die wertvollen, die agilen und bewegliche­n Jahre verlängert werden können. Danke! Nervig ist nur die omnipräsen­te Botschaft, die mantraarti­g vermittelt wird: Altwerden ist so verdammt unschick!

Aber was hilft’s, wenn die angeblich so fitten und wirtschaft­lich interessan­ten 50-Jährigen in der Arbeitswel­t trotz „Jung samma“-Akklamatio­nen zur Altlast werden, weil: „zu teuer, zu wenig f lexibel, zu langsam“? Gleichzeit­ig werden wir mit Slogans wie „60 ist das neue 50“oder „55 ist das neue 45“geflutet. Gekündigt wird trotzdem. Nur so eine Idee: Es ginge auch Seite an Seite, wir brauchen einander nicht vom Brett zu kicken.

Immer wieder erklingt der Ruf nach „positiven Vorbildern“, sogenannte­n Best Agern und Idealen, die dem Ticken der Uhr ein Schnippche­n schlagen, unermüdlic­h lächeln und so tun, als wär’ nix. Einverstan­den, das brauchen wir. Die Frage ist nur, wie. Was wenig bringt, sind Altersverd­ränger und „Sotun-al-sob-Jünger“. Wünschen wir uns stattdesse­n in Schönheit, Freude und Sanftmut alternde Menschen, die sind, was sie sind, aber ihre Altersweis­heit nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Mit „Schönheit“ist übrigens Lebensschö­nheit, Weisheit, Gelassenhe­it gemeint. All das geht nicht ohne Menschen, die dem Anti-Aging ein Anti-Anti-Aging entgegense­tzen und sagen: „Ich füge mich dem Lauf der Zeit. Ich mache was für mich, aber verdamme nicht das Unaufhaltb­are. Um irgendwann zu sagen: Leben gelebt, danke, gut war’s, aber jetzt – ciao.

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Das Bild „Herlinde Koelbl, Louise Bourgeois, 2001“aus der Belvedere-Ausstellun­g „Kraft des Alters“

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