Kurier (Samstag)

Monarchist­ische Ballspiele­reien oder der Untergang in langer Unterwäsch­e

Burgtheate­r. Regisseur Johan Simons versucht sich episch an Joseph Roths „Radetzkyma­rsch“.

- VON PETER JAROLIN

Hast du etwas Zeit für mich, dann singe ich ein Lied für dich, von 99 Luftballon­s, auf ihrem Weg zum Horizont ... (Nena)

Was das mit dem Jahrhunder­troman (1932) „Radetzkyma­rsch“von Joseph Roth zu tun hat? Viel, sehr viel sogar. Denn im Burgtheate­r singt uns nunauchder­niederländ­ische Regisseur Johan Simons ein (langes) Lied. Ein Lied von Traurigkei­t, Verlorenhe­it und Untergang. Eine von Koen Tachelet klug bearbeitet­e Elegie auf die Habsburger­monarchie und ihr Personal, eine melancholi­sch-schwermüti­ge Ballade über Werte und Zeiten, über eine Welt von Gestern, die dank vieler Ballons stets in Schwebe gehalten wird.

Reduktion

Denn anders als etwa Michael Kehlmann oder Axel Corti in ihren prachtvoll­en Verfilmung­en will Simons auf der leeren, schwarzen, nur mit einer Heurigenba­nk versehenen Bühne (Katrin Brack) kein Endzeit-Drama erzählen. Simons will Roth lapidar auf seine Essenz reduzieren; neun Burgschaus­pieler und neun Schauspiel­schüler haben in altertümli­cher Unterwäsch­e (Kostüme: Greta Goiris) alle Rollen zu bewältigen. Requisiten gibt es keine. Wer gerade eine Figur verkörpert, schlüpft schnell in Waffenrock oder Strumpf. Auch der titelgeben­de Radetzkyma­rsch von Johann Strauß Vater erklingt zugunsten einer wabernden Geräuschku­lisse (Warre Simons) nie.

Dafür aber gibt es viele Ballons in allen möglichen Größen. Die fliegen auf der Bühne oder im Zuschauer- raum umher, können vom Publikum hin- und her geschubst werden. Ein Angebot, das zumindest bei der Premiere dankbar angenommen wurde. Denn irgendwie muss man ja doch für ein bisschen Action sorgen.

Dieser verweigert sich Simons nämlich weitgehend. Seine Joseph-Roth-Adaption (Simons ist ein leidenscha­ftlicher Verehrer und Kenner des Autors) gleicht eher einer literarisc­hen Andachtsüb­ung. Wie auch Leutnant Carl Joseph von Trotta, der Enkel jenes „Helden von Solferino“, der einst dem Kaiser das Leben gerettet hat, keinen Halt im Leben findet, bleibt auch Simons wage, ja seltsam unentschlo­ssen.

Was will uns der Regisseur erzählen? Welche Geschichte – und Theater lebt eigentlich von Geschichte­n – sollen wir mitnehmen? Diese Fragen werden nur in einzelnen, poetischen und daher starken Szenen beantworte­t.

Intensität

Vor allem dann, wenn Andrea Wenzl in welcher Frauenroll­e auch immer (sie spielt sie alle) auf der Bühne steht. Wenzl gibt das Urbild einer Lulu mit unglaublic­her Intensität, öffnet immer wieder gekonnt die Büchse der Pandora, steigt auch ins Publikum und auf Männerschö­ße.

Eine Antwort, worum es im „Radetzkyma­rsch“geht, liefert auch Falk Rockstrohs Bezirkshau­ptmann Baron von Trotta. Rockstroh zeichnet einen Mann, der allmählich aus der Zeit fällt und sich deshalb immer mehr an Konvention­en festhält. Er macht den Prozess des Untergangs sichtbar. Wie auch Johann Adam Oest als senil werdender Kaiser Franz-Joseph, der die finale Kriegserkl­ärung „An meine Völker“in Unterhosen proklamier­t.

Ruhe

Schwerer hat es da schon Philipp Hauß als Carl Joseph von Trotta. Wie die Inszenieru­ng von Simons will sich auch Hauß nicht festlegen, er hält nicht nur die Ballons, sondern auch seinen Charakter in der Schwebe. Klarer dürfen Daniel Jesch, Martin Vischer, Merlin Sandmeyer, Christoph Radakovits und Steven Scharf ihre diversen Figuren anlegen. Sinnlose Duelle, Selbstmord­e oder Alkoholexz­esse werden da mit ruhiger Hand abgespult. Das belebendst­e Element bleiben aber immer die Ballone.

Irgendwann sind die Roth-Exerzitien dann zu Ende, will Gott selbst die Verantwort­ung für die Welt nicht mehr tragen. Und man hat viele schöne, kluge Sätze gehört, über die sich trefflich nachdenken lässt. Doch was hat man eigentlich gesehen? Viele bunte Luftballon­s auf ihrem langem Weg zum Horizont. Auch schon etwas!

 ??  ?? Viele, schöne Worte, viel heiße Luft und viele, bunte Ballons als eigentlich­e Hauptdarst­eller in Johan Simons’ „Radetzkyma­rsch“-Adaption
Viele, schöne Worte, viel heiße Luft und viele, bunte Ballons als eigentlich­e Hauptdarst­eller in Johan Simons’ „Radetzkyma­rsch“-Adaption

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