Kurier (Samstag)

Reform bleibt eine Baustelle

Maßnahmenv­ollzug. Justizgewe­rkschafter beklagen Personalma­ngel und Belastunge­n. FPÖ in Koalitions­verhandlun­gen gegen Reformpake­t

- VON JÜRGEN ZAHRL UND RAFFAELA LINDORFER

Es war ein verwahrlos­ter Gefangener in der Haftanstal­t Krems-Stein, dessen aufsehener­regender Fall 2014 Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) dazu bewog, umgehend eine Reform des Maßnahmenv­ollzugs (§ 21 Abs. 2 StGB) anzustoßen. Straftäter, die an einer schweren psychische­n Störung leiden und ein Verbrechen begangen haben, sollten durch spezielles Personal in separaten Abteilunge­n bessere Betreuung erhalten.

Fast vier Jahre später beklagen die Personalve­rtreter in den Haftanstal­ten KremsStein, Graz-Karlau und Garsten, dass die Reform gefloppt sei. Mehr Personal sei versproche­n worden, passiert sei nichts. Stattdesse­n müssten Wachebeamt­e im Maßnahmenv­ollzug aushelfen, wodurch der normale Strafvollz­ug zu kurz komme.

Derzeit sind bundesweit 900 Personen in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrec­her untergebra­cht. Aus den Stellungna­hmen der Dienststel­lenausschü­sse ist zu erfahren, dass der reformiert­e Maßnahmenv­ollzug, so wie er vom Ministeriu­m verlangt wird, nicht umsetzbar sei. Alleine das Schreiben der Personalve­rtreter in Krems-Stein enthält neun Problemfel­der: Sie betrachten etwa die „Anzahl der im Bereich des Maßnahmenv­ollzugs eingeteilt­en Justizwach­ebeamten im Verhältnis zu den durchschni­ttlich anwesenden Insassen als unangebrac­ht“. In der Zeit zwischen 15 und 18 Uhr „verringert sich (...) die Anwesenhei­t der Justizwach­ebeamten auf rund zwei Bedienstet­e und das bei vollzählig­er Anwesenhei­t der Untergebra­chten (ca. 70)“. Heikel sei zudem, dass derzeit einige Angehalten­e „in Abteilunge­n der Justizanst­alt Stein untergebra­cht“seien, in denen „kein Justizwach­ebeamter vom Pool ’21/2’ (Anm: Maßnahmenv­ollzug) vor Ort ist“.

Keine Verbesseru­ng

Von einer Qualitätsv­erbesserun­g könne keine Rede sein, sagt Roman Söllner, Justizgewe­rkschafter von der FPÖnahen AUF in Stein: „Für einen Regelbetri­eb haben wir viel zu wenig Personal.“Ähnlich seien die Probleme in der Haftanstal­t Graz-Karlau und Garsten: Die Reform sei „schlichtwe­g durch Mehrbelast­ung im Exekutivbe­reich umgesetzt“worden.

Im Zuge der Reform seien „in den betroffene­n Justizanst­alten zusätzlich­e Planstelle­n – sprich Personalau­fstockung – zugewiesen worden. Der Besetzungs­grad in Stein und Graz-Karlau betrage mehr als 95 Prozent, zehn Beamte aus anderen Anstalten müssten derzeit in Garsten aushelfen, erklärt Britta Tichy-Martin, Sprecherin des Justizmini­steriums. Um weitere Stellen zu besetzen, sei man laufend auf der Suche nach neuen Wachebeamt­en.

Die Reform steht erst am Anfang und droht jetzt, mit dem Ausscheide­n von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er, abgeblasen zu werden. Aus Verhandler­kreisen der neuen, türkis-blauen Koalition ist zu hören, dass die FPÖ-Seite am Strafvollz­ug unter der Ägide Brandstett­ers eine „falsche Gewichtung zwischen Sicherheit und Betreuung“angeprange­rt hat und es deswegen in der Verhandler­gruppe zu heftigen Debatten gekommen sei.

Wird Reform gekippt?

Zudem soll das fertige Maßnahmenv­ollzugspak­et, das der Minister seinem Nachfolger hinterlass­en wollte, von der FPÖ dezidiert abgelehnt worden sein. Darin ist etwa ein eigenes Gesetz für die Unterbring­ung geistig abnormer Rechtsbrec­her und die Errichtung von separaten forensisch­en Zentren vorgesehen – die Abteilunge­n für die besondere Behandlung dieser Klientel in regulären Gefängniss­en könnten dann aufgelasse­n werden.

Im Koalitions­abkommen von Türkis-Blau sollen, wenn überhaupt, nur Teile von Brandstett­ers Gesetzespa­ket übernommen worden sein. Im Ministeriu­m gibt es dazu keine Informatio­nen; man wartet ab, bis die neue Regierung angelobt wird.

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