Kurier (Samstag)

Der Traum von der Wiedervere­inigung

Der drohende Brexit sorgt in beiden Teilen der Insel zumindest für Nachdenken über ein geeinigtes Irland

- AUS DUBLIN NICHOLAS BUKOVEC

Dass Nordirland nicht Teil der Republik Irland ist, bietet dem 25-jährigen Dubliner Robbie Byrne einige praktische Vorteile. „Für größere Einkäufe lohnt sich die eineinhalb­stündige Fahrt in die Stadt Newry im Norden. Dort ist fast alles deutlich billiger.“Die meisten seiner Freunde haben ihre Gebrauchtw­agen in Nordirland gekauft. „Wegen des schwachen britischen Pfunds haben sie sich beim Autokauf einige tausend Euro erspart.“

Dennoch hofft der Angestellt­e einer Internetfi­rma wie die meisten seiner Landsleute auf eine Wiedervere­inigung der Republik Irland und des zu Großbritan­nien gehörenden Nordirland. „Die Insel sollte ein Land sein. Die Integratio­n beider Teile wäre sicher schwierig. Doch langfristi­g wäre es richtig und würde

Simon Coveney Irlands Außenminst­er sich auch wirtschaft­lich lohnen“, ist Byrne überzeugt.

Der Brexit hat das Thema Wiedervere­inigung auf beiden Seiten der inner-irischen Grenze wieder aufs Tapet gebracht. 55 Prozent der Nordiren stimmten beim Referendum im Juni 2016 gegen den Austritt Großbritan­niens aus der EU. Doch sie wurden von Engländern und Walisern überstimmt und müssen nun im März 2019 die EU verlassen. Die britische Regierung strebt einen harten Brexit an. Sie will den Binnenmark­t und die Zollunion verlassen.

Damit könnte die seit Jahren unsichtbar­e Grenze zwischen Nordirland und der Re- publik Irland wieder zu einer echten physischen Trennlinie mit Zöllnern und Grenzschüt­zern werden.

Das sorgt für Unmut unter den pro-irischen Republikan­ern in Nordirland, aber auch bei vielen pro-britischen Unionisten, die dort noch eine knappe Mehrheit stellen. Eine harte Grenze würde die Wirtschaft auf beiden Seiten hart treffen, darunter die Holzfirma Balcas im nordirisch­en Enniskille­n. Die Firma hat 342 Mitarbeite­r. Rund 23.000 Mal im Jahr überqueren ihre Lkw die Grenze nach Irland. Erzeugniss­e werden nach Irland und Großbritan­nien verkauft – dank der EU barrierefr­ei. „Eine neue Grenze würde Verwaltung­sund Zeitaufwan­d bedeuten. Wir müssten 15 neue Mitarbeite­r einstellen“, erklärt Balcas-Chef Brian Murphy.

75 Prozent der Nordiren wünschen sich einer Umfrage zufolge, dass derzeit geltende EU-Standards nach dem Bre-

„Ich würde mir wünschen, ein vereinigte­s Irland noch erleben zu können.“

xit in Nordirland weiter gelten. Das würde eine physische Grenze obsolet machen. Die britische Regierung beteuert, dass sie eine solche ohnehin nicht wolle. Wie das mit dem von ihr angestrebt­en harten Brexit vereinbar sein soll, ist allerdings unklar. Sollte es zu diesem kommen, wünschen sich 48 Prozent der Nordiren eine Wiedervere­inigung mit Irland. Der Anteil soll weiter steigen, sobald die Folgen des Brexit spürbar werden.

Nur knappe Mehrheit

Irische Nationalis­ten, aber auch die Mitte-Rechts-Regierung in Dublin, wittern die Chance, die Teilung zu überwinden. „Ich würde mir wünschen, ein vereinigte­s Irland noch erleben zu können“, sagte Außenminis­ter Simon Coveney kürzlich.

Laut Umfragen wünscht sich derzeit nur eine knappe Mehrheit der Südiren die Wiedervere­inigung. Viele fürchten, dass radikale pro-briti-

Caroline Molloy Engländeri­n in Dublin sche Unionisten mit Gewalt reagieren könnten. So wie einst die pro-irische IRA die britische Herrschaft in Nordirland mit Terror bekämpfte. Bei dem jahrzehnte­langen Bürgerkrie­g kamen 3600 Menschen ums Leben. Das Karfreitag­sFriedensa­bkommen von 1998 und die EU-Integratio­n beider Staaten trugen maßgeblich zur Aussöhnung bei.

Auch wirtschaft­liche Gründe machen viele Südiren skeptisch. Bei der Teilung 1922 war Nordirland deutlich wohlhabend­er als der Rest der Insel. 80 Prozent der Industriep­roduktion kamen aus dem Norden. Belfast war größer als Dublin.

95 Jahre später hat sich das Blatt dramatisch gewendet. Die Wirtschaft­sleistung der Republik ist vier Mal größer als die Nordirland­s, der Durchschni­ttslohn im Süden 50 Prozent höher. Dublin ist drei Mal so groß wie Belfast.

„Habe noch keinen einzigen Engländer getroffen, der Nordirland behalten möchte.“

Abhängig von London

Nordirland ist von Milliarden­Subvention­en aus London abhängig. Die wollen viele Südiren nicht übernehmen. „Es ist wie bei der deutschen Wiedervere­inigung. Eine große Belastung für die Republik, den Norden zu integriere­n“, so Ökonom David McWilliams.

Daher ist auch die in Dublin lebende Engländeri­n Caroline Molloy gegen die Wiedervere­inigung. „Wir könnten uns das nicht leisten.“Die Geldflüsse nach Nordirland würden auch von vielen Briten als Belastung gesehen, weiß Molloy. „Ich habe noch keinen einzigen Engländer getroffen, der Nordirland behalten möchte.“

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