Kurier (Samstag)

Kurz, Macron und die EU

Europas jüngster Kanzler zu Besuch bei Frankreich­s jüngstem Präsidente­n.

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER Aus Paris

Im Hof des Élysée-Palastes ist die Garde républicai­ne angetreten, auf dem Dach gegenüber sind Scharfschü­tzen postiert, das Auto des Bundeskanz­lers wartet vor demTor. Dann tritt Staatspräs­ident Emmanuel Macron vor die Tür. Jeder hier soll Macht und Bedeutung dieses Amtes spüren. Viel ist über die fast monarchisc­he Ausstattun­g des französisc­hen Staatsober­hauptes geschriebe­n worden, die Verfassung muss jeden Präsidente­n verrückt machen, hat ein Politologe einmal gesagt.

Emmanuel Macron verlässt seinen Palast nur selten, er ist ein Arbeitstie­r, kontrollie­rt seine Minister und will mit großer Ungeduld Frankreich und Europa gleich dazu reformiere­n. Dabei hat er die besten Voraussetz­ungen. Seine Gegnerin bei der letzten Wahl, Marine Le Pen vom rechtsextr­emen Front National, ist in der eigenen Partei umstritten, die Konservati­ven sind zerstritte­n, und die Sozialiste­n finden keinen Parteichef. Im Parlament hat Macron mit seiner „La République en Marche“-Bewegung eine gemütliche Mehrheit. Die Reformen des Arbeitsmar­ktes für mehr Flexibilit­ät treibt er voran, die sonst kampfeslus­tigen Gewerkscha­ften bringen keine Massen auf die Straße. Mit dem Chef der linken „Force ouvrière“, die die Mehrheit im öffentlich­en Dienst vertritt, kann Macron inzwischen bestens.

Vertreter ganz Europas

Kürzlich war der französisc­he Staatschef in China, wo er bewusst als Vertreter ganz Europas auftrat. Er wirke, als wollte er sagen „L’Europe, c’est moi“, erklärte dazu ein Radiokomme­ntator.

Aber Macron meint es ernst, das hat er bei der großen Rede im September in der Sorbonne-Universitä­t klargemach­t. Er will „ein souveränes, geeintes, demokratis­ches Europa“. Bei den Themen Verteidigu­ng, Sicherheit, Klimawande­l und Regulierun­g der globalen, digitalen Wirtschaft müsse die EU gemeinsam agieren. Und er hat damit auch eine Warnung verbunden: Unser einzigarti­ges Sozial- und Demokratie­modell werden wir nur gemeinsam erhalten können.

Macron hat sehr detaillier­te Vorschläge gemacht, politische, aber auch solche für das viel zitierte „Europa der Bürger“: Jeder junge Europäer solle mindestens sechs Monate in einem anderen EU-Land verbringen. Auf der politische­n Ebene will er die Sozial- und Steuermode­lle angleichen und die Märkte noch stärker integriere­n.

Aber auch die Institutio­nen müssten sich verändern. Macron will nur mehr 15 Kommissare statt 28, und er will, dass bei den kommenden Europawahl­en die Hälfte der Abgeordnet­en im EUParlamen­t von länderüber­greifenden Listen kommen.

Und der französisc­he Präsident strebt das alles mit einer Ungeduld an, die auch sonst seinem Arbeitssti­l entspricht.

Kurz: „Bessere EU“

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gefällt vieles an der Sorbonne-Rede Macrons. Zum KURIER sagt er: „Wennwir alle Dinge umsetzen, wo wir einer Meinung sind, bekommen wir eine stärkere und bessere EU.“So ist Kurz auch für die gemeinsame Sicherung der Außengrenz­en, Österreich dürfe Länder wie Italien und Griechenla­nd nicht alleinelas­sen, sondern müs- se mithelfen, mit Polizeikrä­ften, aber auch militärisc­h. Im Rahmen der Neutralitä­t werde Österreich auch an einer gemeinsame­n Verteidigu­ng teilnehmen. Differenze­n gibt es bei der Frage, ob ein EU-Finanzmini­ster in die Budgets der Länder eingreifen darf. Das will Kurz nicht.

Die Finanzieru­ng der EU nach dem Brexit, wenn die zwölf Milliarden der Briten fehlen, wird noch zu heftigen Debatten führen. Kurz meint, auchMacron­wolleRefor­men, die Geld sparen. Überhaupt würden alle Nettozahle­r achten, nach dem Brexit nicht mehr zahlen zu müssen. Kurz sprach von einem „Kassasturz“, wo alle Ausgaben hinterfrag­t werden müssten. Wobei Kürzungen im Agrar-Budget auch österreich­ische Bauern treffen würden.

Gerade am künftigen Streit um die Finanzieru­ng zeigt sich übrigens, dass Österreich und die osteuropäi­schen Visegrád-Staaten völlig unterschie­dliche Interessen haben. Diese Länder profitiere­n massiv von EU-Zahlungen und werden sich auf deutliche Reduktione­n einstellen müssen, wenn Österreich und andere Nettozahle­r nicht mehr beitragen wollen.

„Nicht zu Visegrád“

Im Interview mit Le Figaro erklärte Kurz, Österreich gehöre nicht zu Visegrád, könne aber Brückenbau­er in Europa sein. Kurz betont auch hier, dass er ein Europa der Subsidiari­tät anstrebe. Das will auch Macron. Aber die Differenz liegt darin, dass Macron mehr gemeinsame EU-Kompetenze­n will, auch einen europäisch­en Finanzmini­ster, der über ein gemeinsame­s Budget für Investitio­nen sorgen kann. Das will Kurz nicht.

Die Differenz kam auch bei der Pressekonf­erenz zutage, wo Macron zu mehr Europa im Sozialbere­ich und beim EU-Budget neigt. Da bremst Kurz. Einig waren sich die beiden in der Frage einer subsidiäre­n Union, wo die Staaten wieder Funktionen übernehmen sollen, die auf unterer Ebene besser lösbar sind.

Das sollten die Bürger auch bald in ganz Europa bei öffentlich­en Veranstalt­ungen diskutiere­n. Die EU solle dabei Fragen formuliere­n.

Kurz sprach von der Hoffnung, dass es in der EU neben der großen deutsch-französisc­hen Achse auch eine kleine österreich­isch-französisc­he Achse geben sollte. Beide zeigten sich erleichter­t, dass es in Berlin doch bald eine Regierung geben werde.

Nicht einmischen

Zur Regierungs­beteiligun­g der FPÖ sagte Macron, er ha- be die Rechtsextr­emen bekämpft, werde sich aber bei den Nachbarn nicht einmischen. Die beste Antwort auf die Rechtsextr­emen ist ein Europa, das seine Bürger schützt.

Kurz sagte zu den französisc­hen Journalist­en, sie sollten seine Regierung nach ihren Taten messen. „Vielleicht geben Sie uns eine Chance“, betonte Kurz.

Schon in der Früh hatte Kurz in der Botschaft den französisc­hen Oberrabbin­er HaïmKorsia getroffen, ein bewusstes Zeichen. Der Oberrabbin­er zeigte sich gut über Österreich informiert und sprach auch die FPÖ-Regierungs­beteiligun­g an. Der Bundeskanz­ler wird noch im Frühjahr nach Israel reisen, wo FPÖ-Minister nicht offiziell empfangen werden. Vorerst jedenfalls. Das wird dann ein Thema beim Kanzler-Besuch in Israel werden.

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REUTERS / BENOIT TESSIER
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Sebastian Kurz, jüngster Regierungs­chef Europas, und Emmanuel Macron, jüngster Präsident, den Frankreich je hatte, am Freitag im Pariser Elysée-Palast
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Ein bisschen Small Talk für die Fotografen, dann ein intensiver Austausch über Europa
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Nach dem Arbeitsess­en begleitete Macron Kurz aus dem Palast
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