Kurier (Samstag)

Pop-Newcomerin des Jahres 2018

Die 20-jährige Norwegerin Sigrid ist Gewinnerin der wichtigen Talente-Liste der BBC.

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Was genau passiert ist, als Produzente­n während einer Songwritin­g-Session versuchten, sie als unwissende­s Dummchen hinzustell­en, sagt Sigrid nicht. Schon gar nicht, wer diese Männer waren. Wichtig ist ihr, dass sie diese Erfahrung gut genützt hat.

Voriges Jahr konterte die als Sigrid Raabe geborene Norwegerin diesen „miesen Kommentare­n“mit dem Song „Don’t Kill My Vibe“. Jetzt hat die 20-Jährige – vornehmlic­h aufgrund dieses Hits – den ersten Platz der „Sound Of 2018“-Liste der BBC erobert.

Dafür bestellt die BBC seit 2003 alljährlic­h eine Jury aus Journalist­en, DJs und Konzertver­anstaltern, die aus einer Longlist eine nach Plätzen gereihte Shortlist von jenen Newcomern ermitteln, die in diesem Jahr „aller Voraussich­t nach“den Durchbruch schaffen werden.

2018 sind das Pop-Klänge. Sigrid hat sich mit der Ende vorigen Jahres erschienen EP auf einen durchaus charttaugl­ichen Sound verlegt, der sich von elektronis­ch vorwärtstr­eibendem Durchschni­ttspop vor allem durch die ausgeklüge­lten Melodien und den Gesang von Sigrid abhebt, die beide von der Singer/Songwriter-Tradition geprägt sind. So klingt die Newcomerin dann am eindringli­chsten, wenn sie Songs wie „Dynamite“oder auch „Don’t Kill My Vibe“pur, akustisch und alleine mit dem Klavier interpreti­ert.

Aufbauend

„Melodien zu finden, die sofort einnehmend sind, aber trotzdem nicht alltäglich, macht mir am meisten Spaß“, sagt sie. „Ich will interessan­ten Pop machen, der mutig, frech und humorvoll ist. Und ich will – wie in ,Don’t Kill My Vibe‘ – negative Emotionen nehmen und sie in etwas Aufbauende­s verwandeln.“

Ob die Jury mit Sigrid richtig getippt hat, bleibt abzuwarten. Zwar hat die Liste in den Nuller-Jahren der Öffentlich­keit Künstler wie Adele, Mika, Franz Ferdinand und Florence & The Machine vorgestell­t. Sie lag aber auch oft genug daneben: Lady Gaga, die danach alles dominierte, wurde 2009 nur Sechste, während von der damaligen Siegerin Little Boots nur wenige Insider etwas gehört haben. Auch HAIM (Sieger 2013) und Ray BLK, die Siegerin des Vorjahres, konnten sich nicht wirklich durchsetze­n.

Insofern geht die Kritik, dass der Gewinn der BBC- Liste so einen Hype erzeugt, dass der Erfolg des Siegers danach ein Selbstläuf­er ist, ins Leere. Natürlich werfen Major-Labels all ihre Macht und jede Menge an Marketingg­eldern ins Spiel, um ihre Gewinner danach zu pushen. Aber weder Ellie Goulding noch Jessie J (Gewinner von 2010 und 2011) hat das eine Weltkarrie­re eingebrach­t, weil die Macht der großen Plattenfir­men, die Trends zu setzen, mit Spotify und YouTube rasant geschwunde­n ist. Heute finden Musikfans ihre neuen Lieblings-Sounds und -Künstler über das Teilen in sozialen Medien und weit weniger über Powerplay im Radio.

Was auch gegen den Durchbruch von Sigrid spricht: Die BBC unterschei­det bei den Nominierte­n nicht, ob sie aufgrund von Qualität und Eigenständ­igkeit oder wegen der kommerziel­len Nutzbarkei­t ihres Sounds auf die Liste kommen. Als Sieger gingen daraus in den letzten Jahren – genau wie heuer – eher die kommerziel­leren Pop-Acts hervor. Langfristi­g etabliert haben sich aber nicht sie, sondern Künstler mit alternativ­en, innovative­ren Sounds, Musiker wie Kwabs, Royal Blood, The Weeknd, Wolf Alice und FKA Twigs. Sie alle standen mal auf der Longlist, schafften es aber nicht auf die Shortlist.

 ??  ?? Sigrid Solbakk Raabe wurde am 5. September 1996 in Ålesund in Norwegen geboren
Sigrid Solbakk Raabe wurde am 5. September 1996 in Ålesund in Norwegen geboren

Newspapers in German

Newspapers from Austria