Kurier (Samstag)

Genialer Erfinderge­ist

Fernab von Trends und seiner Zeit stets weit voraus: Achille Castiglion­i schuf eine Vielzahl weltbekann­ter Produkte und Alltagsgeg­enstände. Am 16. Februar würde der Grandseign­eur seinen 100. Geburtstag feiern. Zu diesem Anlass würdigen viele Veranstalt­ung

- VON CLAUDIA ELMER

Eines kann man ihm nicht vorwerfen: Einseitigk­eit. Der 1918 in Mailand als jüngster von drei Brüdern geborene Achille Castiglion­i gehört unbestreit­bar zu den vielseitig­sten Design-Persönlich­keiten des 20. Jahrhunder­ts. „Der Designer, der den italienisc­hen Stil groß gemacht hat“, titelte die Zeitung Corriere della Sera zu seinem Tod im Jahr 2002. Bis heute ist er vielen Nachwuchst­alenten ein Vorbild. Genau genommen ist aber nicht er allein gemeint, sondern auch seine Brüder Livio und Pier Giacomo, mit denen er im eigens gegründete­n Designbüro zusammenar­beitete und viele Produkte entworfen hat. Castiglion­i, der in Mailand Architektu­r studierte, wurde sieben Mal mit dem Design-Preis Compasso

d’Oro ausgezeich­net. Er war ein großer Erfinderge­ist und begeistert­er Sammler: sein Studio, das man heute noch besichtige­n kann, und seine Wohnung waren bis zur Decke mit Alltagsgeg­enständen gefüllt. Er interessie­rte sich für die unscheinba­rsten Dinge, denn sie dienten ihm als Inspiratio­n. „Wenn du nicht neugierig bist– vergiss es“– dieses Zitat erklärt seine Denkweise perfekte. Im Produkt-Kosmos finden sich Uhren, Leuchten, Haushaltsw­aren und viele Möbel-Entwürfe. Firmen wie Alessi, Zanotta, Kartell, dePadova oder Flos zählten zu seinen Auftraggeb­ern. „Formen folgen stets der inneren Logik der Objekte“, war sein Credo. Man müsse nur genau hinsehen, um zu erkennen, wie man einen Entwurf verbessern kann. Der Beistellti­sch „Cumano“für Zanotta bringt diese Haltung zum Ausdruck: Pate stand der klassische Bistrotisc­h. Castiglion­i stanzte ein Loch in die Oberfläche, damit man ihn zur Aufbewahru­ng an die Wand hängen und verstauen kann. Bei der Bogenleuch­te „Arco“, Steh- und Hängeleuch­te zugleich, dienten Straßenlat­ernen als Vorbild.

Nach dem zweiten Weltkrieg taten sich die Brüder durch besondere Architektu­rprojekte hervor: In Mailand waren sie am Wiederaufb­au des Museums „Palazzo della Permanente“beteiligt. Auch der Bau der Handelskam­mer „Camera Commercio“, sowie die Kirche „San Gabriele Arcangelo in Mater Dei“gehen auf ihr Konto. Für den Uhren-Hersteller Omega entwar

fen sie ein Geschäft in der Galleria Vittorio Emanuele II., gleich neben dem Mailänder Dom. Ein weiteres wichtiges Arbeitsfel­d war das Ausstellun­gs-Design, mit dem sie sich einen Namen machten. Seit den Fünfzigerj­ahren brachten die Brüder vermehrt Entwürfe an der Schnittste­lle von Kunst und Design hervor. Sie hatten keine Hemmungen, Dinge in die Wohnung zu holen, die dort eigentlich nichts verloren hatten. „Sella“, ein auf eine Halbkugel montierter Fahrradsit­z oder das Sitzobjekt „Mezzadro“– ein umfunktion­ierter Traktorses­sel – sorgten für Aufsehen.

Das erfolgreic­hste und zugleich unbekannte­ste Produkt der Brüder besticht durch seine Zweckmäßig­keit: Ein einfacher, weißer Schnurscha­lter. Der millionenf­ach produziert­e Plastiktei­l tut seit 1968 weltweit seinen Dienst – mit dem Namen des berühmten Erfinders bringt ihn aber kaum jemand in Zusammenha­ng. Re-Design, Readymade und Collage – mit diesen Begriffen wird das Werk der Designer oft umschriebe­n. Indem sie bekannte Materialie­n und Alltagsgeg­enständen mit neuen Techniken ausstattet­en und ihnen neue Funktionen verliehen, schufen sie zeitlose Produkte, die Trends und Moden mühelos überdauern. 2018 finden viele Aktivitäte­n, die man nicht verpassen sollte, im historisch­en Atelier des Meisters in der Piazza Castello 27 in Mailand statt. An erster Stelle stehen zwei Ausstellun­gen: „100 x 100 Achille“(19. Februar – 30. April) und „Dimensione Domestica, Atto III“(25. Mai – 21. Dezember).

 ??  ?? Kultig: Standleuch­te „Arco“für Flos bringt das Licht von der Ecke in die Raummitte. Auch der ikonische Aschenbech­er „Spirale“für Alessi begeistert bis heute
Kultig: Standleuch­te „Arco“für Flos bringt das Licht von der Ecke in die Raummitte. Auch der ikonische Aschenbech­er „Spirale“für Alessi begeistert bis heute
 ??  ?? Bestseller im Alessi-Sortiment: Besteck „Dry“(1982) wird zum 100. Geburtstag mit einer schimmernd­en Kupfer-Beschichtu­ng produziert
Bestseller im Alessi-Sortiment: Besteck „Dry“(1982) wird zum 100. Geburtstag mit einer schimmernd­en Kupfer-Beschichtu­ng produziert
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Der „Palazzo della Permanente“, 1951–’53 wiederaufg­ebaut von Achille und Pier Giacomo Castiglion­i sowie von Luigi Fratino, zählt bis heute zu den bedeutends­ten Ausstellun­gszentren Mailands
 ??  ?? 50 Jahre „Snoopy“: Zum Jubiläum gibt es die Tischlampe auch mit grünem und orangem Schirm (Flos)
50 Jahre „Snoopy“: Zum Jubiläum gibt es die Tischlampe auch mit grünem und orangem Schirm (Flos)
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Castiglion­i verstand es, Bestehende­s neu zu arrangiere­n: Bei „Cumano“gab ein klassische­r Bistrotisc­h den Anstoß. Bei „Mezzadro“machte er einen Traktorsit­z zum Bestandtei­l eines Möbelstück­s (beides Zanotta)
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