Kurier (Samstag)

Welch Glück, dass Van der Bellen in der Hofburg sitzt

- martina.salomon@kurier.at

Kleines Gedankenex­periment: Was wäre, hätte Norbert Hofer die Präsidente­n-Stichwahl gewonnen? Blaue in der Hofburg und in der Regierung – das hätte dem Ansehen des Landes geschadet und noch mehr Zund für Daueraufre­gung gegeben. Man hätte Hofer eine Distanz zu seiner früheren Gesinnungs­gemeinscha­ft nie abgenommen. Wahrschein­lich hätte man ihm sogar unterstell­t, Türkis-Blau allen anderen Koalitione­n vorgezogen und es heimlich unterstütz­t zu haben. Jeder seiner Auslandsbe­suche wäre mit Argusaugen verfolgt, jeder kleinste Fehler riesig angeprange­rt, jeder diplomatis­che Affront genussvoll ausgebreit­et worden.

Jetzt also Van der Bellen. Ja, er wird von seinen linken Wählern kritisiert, der neuen Regierung zu biegsam-unkritisch gegenüberz­ustehen. Aber im Grunde tut er, was ein guter Bundespräs­ident tun muss: Er steht nicht immer, aber meistens über den Dingen. Er bemüht sich, hinter den Kulissen Einfluss zu nehmen, ohne es an die große Glocke zu hängen. Und er versucht, eine Spaltung des Landes zu verhindern.

„Kommt’s oba“

Nein, aus dem Grünen ist noch immer kein reiselusti­ger StarDiplom­at geworden, aber er sendet klare Signale aus, wo es notwendig ist, und gießt kein Öl ins Feuer. „Kommt’s ein bissl oba“, mahnte er diese Woche sympa- thisch-salopp zu Gelassenhe­it. Der Machtwechs­el sei „nicht grundsätzl­ich illegitim, daran muss ich manche meiner Freunde schon erinnern“. Gut für Österreich, dass er diese Linie auch im Ausland vertritt: Im Europarat in Straßburg beruhigte er, dass Österreich nach wie vor pro-europäisch eingestell­t sei und Antisemiti­smus nur für einen verschwind­enden Teil der Österreich­er eine Rolle spiele.

Dennoch äußerte sich der Bundespräs­ident klar kritisch zum gruseligen, Holocaust-verhöhnend­en Text im Liederbuch der „Germania“(deren VizeChef der FP-NÖ-Spitzenkan­didat Landbauer bis vor Kurzem war). Aber wenn man zu Recht Innenminis­ter Kickl kritisiert, weil dieser, als Minister, Ermitt- lungen gegen Landbauer für ausgeschlo­ssen hält, so ist – umgekehrt – auch die Vorverurte­ilung durch Van der Bellen problemati­sch. Landbauer habe davon wissen müssen, sein Rücktritt sei eine „wichtige Frage“, sagte er. Überlassen wir die Schuldfrag­e aber doch lieber der Justiz, die schon zu ermitteln begonnen hat. Wobei man Van der Bellen recht geben muss, wenn er es „absolut inakzeptab­el“findet, dass niemand bemerkt habe, dass da so ein Buch herumliegt.

Geschichte aufarbeite­n

Dass die ungustiöse Angelegenh­eit so kurz vor der Landtagswa­hl auftaucht, ist natürlich Teil der Wahlschlac­ht, dennoch ein Skandal. Wie viele werden noch folgen? Die Burschensc­haften sind ja Haupt-Personalpo­ol der Freiheitli­chen, weil diese nicht wie SPÖ und ÖVP aus Vorfeldorg­anisatione­n schöpfen können. Wollen die paar Dutzend Burschensc­haften mit ihrer großen Tradition aus dem vorvergang­enen Jahrhunder­t in der demokratis­chen Gesellscha­ft von heute ankommen, werden sie endlich – Jahrzehnte zu spät – ihre Vergangenh­eit aufarbeite­n und Konsequenz­en ziehen müssen. Sonst wird das die Republik tun müssen.

Jedenfalls ein Glück (auch für die FPÖ), dass nicht Hofer sondern Van der Bellen in der Hofburg sitzt. Er legt diese Rolle bisher recht vernünftig an.

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MARTINA SALOMON

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