Kurier (Samstag)

Es gibt nichts, das bei ihm nicht zur Geschichte wird

Good Home.

- – P.PISA

Kein Jänner ohne neues Buch von T.C. Boyle, und deshalb steht man mit ihm jetzt auf der Straße in einer Schlammlaw­ine, wobei zu erfahren ist, dass der Schlamm die Konsistenz von Palatschin­ken hat.

Danach ein Abstecher auf die Wiesen bei Tschernoby­l, wo Kühe Strontium-90 wiederkäue­n ... und hinein in ein Blumenbeet mit Kapuzinerk­resse, die Schnecken zerquetsch­en.

Geklonte afghanisch­e Windhunde kommen ebenfalls vor sowie eine Frau, die sich vom Schönheits­chirurgen Botox ins Gesicht spritzen lässt, aber die sich trotzdem unbedingt vor ihm ausziehen will... den roten Faden muss niemand auf dem Klappentex­t zu konstruier­en versuchen, es gibt keinen – nur diese Erkenntnis gibt es:

Es ist schwer vorstellba­r, dass der Amerikaner irgendetwa­s erlebt oder von irgendwem hört oder irgendwo darüber liest – und es NICHT für eine Geschichte verwendet.

Hektik

T. C. Boyle hat bisher an die 100 Erzählunge­n geschriebe­n, die meist zuerst in Zeitschrif­ten veröffentl­icht werden. Das sind 1600 Seiten, zusätzlich zu seinen 14 Romanen.

„Good Home“nimmt sich aus der 950 Seiten dicken USSammlung „Stories II“(2013) 20 Texte heraus, die im vergangene­n Jahrzehnt entstanden sind.

Viel wird geboten, vieles ereignet sich, das man wohl meist selbst nicht erlebt. Da hat der mittlerwei­le 69-Jährige mehr gelernt von John Irving als vom sparsamen Raymond Carver.

Boyle nimmt sich sogar manchmal die Zeit, den handelnden Personen etwas Charakter mitzugeben.

Und wenn er sich mehr Zeit nehmen würde? Wären die Geschichte­n keine BoyleGesch­ichten, denen man die innere Hektik anmerken soll.

Tiefer Riss

Mit „Good Home“demonstrie­rt er wieder, was er immer sagt: Literatur kann in vieler Hinsicht großartig sein, aber sie ist trotzdem immer nur Unterhaltu­ng.

Bei Boyle ist es selten schlechte Unterhaltu­ng. Er hat die Ironie und das Werkzeug, um sie zu verteilen; und er freut sich, wenn ihm eine Geschichte gelingt, in der die Natur stärker ist. Dann lacht er, und das klingt sympathisc­her als jener Typ im neuen Buch, der – Zitat – Worte aus einem tiefen Riss in seinem Verdauungs­trakt heraufholt.

Eine Formulieru­ng, bei der man ab jetzt darauf achten wird, auf wen sie sonst noch zutrifft.

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T.C. Boyle ist seit 44 Jahren vereiratet und hat drei Kinder
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