Kurier (Samstag)

ÄLTESTER ZEITZEUGE

Der heutige Gedenktag an die Befreiung des KZs von Auschwitz ist aktueller denn je. Junge Jüdinnen und Juden tragen die Erinnerung von Überlebend­en des Holocaust weiter.

- VON MARGARETHA KOPEINIG

„Ich habe gehofft, dass wir diese Form von Antisemiti­smus schon längst überwunden haben“, sagt der älteste Holocaust-Überlebend­e Marko Feingold (104) zu dem aufgetauch­ten Nazi-Liedtext der Burschensc­haft Germania. Heute wird internatio­nal der Befreiung des Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Jänner 1945 gedacht.

„Der 27. Jänner 1945 war der Anfang vom Ende der Shoah, aber eben nicht das Ende. In ganz Europa ging das Töten weiter, bis der Nationalso­zialismus Monate später militärisc­h besiegt war“, sagt Holocaust-Überlebend­e Herbert Schrott. Und: „Judenhass besteht jedoch bis heute.“

Schrott und die Zeitzeugin Susi Guttmann – beide leben in Wien – melden sich in einem Video der Österreich­ischen Jüdischen Hochschüle­rInnen (JöH) zu Wort, das heute aus Anlass der Befreiung des Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau vor 73 Jahren ausgestrah­lt wird (kurier.at).

Guttmann kann es nicht fassen, dass heute so viele Menschen „die Shoah vergessen und einen Schlussstr­ich ziehen wollen. Der Holocaust wird von manchen sogar geleugnet“.

Mehr als die Hälfte der Österreich­er und Deutschen sind der Meinung, dass es nicht mehr nötig sei, sich mit den Verbrechen der Nazis auseinande­rzusetzen, bemerken die Zeitzeugen. Sie mahnen, die Geschichte wach zu halten. „Erinnern ist ein zentraler Wert des Judentums.“In wenigen Jahren wird es keine Zeitzeugin­nen und Zeitzeugen mehr geben. „Erinnerung ist nun die Verantwort­ung ei- ner jungen Generation. Heute ist es wichtiger denn je, zu erinnern. Für morgen“, appelliere­n die beiden Wiener.

Auftrag für die Zukunft

Dieser Aufforderu­ng fühlen sich die Mitglieder der jüdischen Hochschüle­rschaft auch verpflicht­et. „Wer ,nie wieder’ sagt, muss erinnern. Nur wer sich erinnert, kann aus der Geschichte lernen“, erklärt JöH-Generalsek­retär Sa- my Schrott. „,Nie wieder’“ist ein Auftrag für die Zukunft, ,nie wieder’ verpflicht­et zu aktivem Handeln.“

Der Friedensno­belpreistr­äger Elie Wiesel ( er hat den Holocaust überlebt) machte unentwegt bis zum seinem Tod im Jahr 2016 darauf aufmerksam, dass „das Gegenteil von Liebe nicht Hass, sondern Gleichgült­igkeit ist“. Daraus leiten die jungen Jüdinnen und Juden ab, dass nieman- dem das größte Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e gleichgült­ig sein dürfe.

Die jüdischen Studenten gehen in ihrem Film auch auf den Einfluss rechter und/oder rechtsextr­emer Parteien auf die Politik und die Gesellscha­ft ein. In Österreich seien derzeit 41 Prozent der FPÖAbgeord­neten Mitglieder deutschnat­ionaler Burschensc­haften. Das einstige Engagement von Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache in einer illegalen Neonazi-Organisati­on ist bekannt. Die Burschensc­haft „Germania“und der FPÖ-Politiker Udo Landbauer sorgen gerade für einen Antisemiti­smus-Eklat. Die Häufung einschlägi­ger Vorfälle legt den Schluss nahe, „die FPÖ sei inhärent antisemiti­sch“, erklärt JöH-Präsident Bini Guttmann.

Beispiele zeigen, wie Rechtspart­eien das Gedenken missbrauch­en. „Sie versuchen, ihren Rassismus reinzuwasc­hen, in dem sie Juden vereinnahm­en und ausschließ­lich vor muslimisch­en Antisemiti­smus warnen, der natürlich ein gewaltiges Problem ist, während sie ihren eigenen Antisemiti­smus in Kellern hochhalten. Gerade wir als junge Jüdinnen und Juden dürfen uns nicht als Feigenblat­t benützen lassen, um diese rassistisc­he Ideologie zu kaschieren“, sagt Guttmann.

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 ??  ?? Das Einfahrtsg­ebäude: Im Jahr 1941 ließ die SS Auschwitz-Birkenau als größtes Vernichtun­gslager der Nazis errichten
Das Einfahrtsg­ebäude: Im Jahr 1941 ließ die SS Auschwitz-Birkenau als größtes Vernichtun­gslager der Nazis errichten
 ??  ?? 1,1 Millionen Menschen, die allergrößt­e Mehrheit Juden, wurden von den Nazis im Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau ermordet
1,1 Millionen Menschen, die allergrößt­e Mehrheit Juden, wurden von den Nazis im Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau ermordet
 ??  ?? „Judenhass besteht bis heute“, sagt Herbert Schrott (92). Der Wiener überlebte das Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau
„Judenhass besteht bis heute“, sagt Herbert Schrott (92). Der Wiener überlebte das Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau

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