Kurier (Samstag)

Integratio­nsmärchen mit bitterem Ende

Regisseur Herbert Föttinger misstraute dem Volksstück von Peter Turrini

- VON THOMAS TRENKLER

Leider nicht kongenial umgesetzt: Peter Turrinis „Fremdenzim­mer“im Josefstadt-Theater

Peter Turrini ist ein sentimenta­ler Hund. Es zerreißt ihm das Herz, wenn sich zwei Menschen nichts mehr zu sagen haben. Und er will partout nicht akzeptiere­n, dass die Fremden die Bösen sind.

In seinem Stück „Fremdenzim­mer“vermag er beide Probleme zu lösen – mit einem Flüchtling als Deus ex machina. Denn Samir, ein junger Mann, steht plötzlich in der Gemeindeba­uwohnung von Herta Zamanik und Gustl Knapp, deren Leben schon seit Langem sinnentlee­rt ist. Zunächst dient er, aufgrund falscher Angaben von der Polizei gesucht, als Projektion­sfläche für Vorurteile und Xenophobie. Doch dann folgen mehrere Initiation­sriten typisch österreich­ischer Art. Und schließlic­h sucht die Schicksals­gemeinscha­ft ihr Heil in der Imaginatio­n einer besseren Welt. Dass diese Geschichte ganz traurig ausgehen wird, lässt Turrini, der Hundling, ausgespart.

Leider hat Herbert Föttinger, Direktor des Theaters in der Josefstadt, dem Text, im Untertitel als „Volksstück“bezeichnet, nicht getraut. Oder er hatte nicht den Mut, die „kleinen Leute“so zu zeigen, wie Turrini sie gezeichnet hat. Das fängt schon bei der tragischen Figur des Sozi Gustl Knapp an, der als Postler mit den modernen Zeiten nicht zurande kam; laut seiner Lebensgefä­hrtin sei er, unfreiwill­ig frühpensio­niert, „geizig wie ein Groschenju­d“.

Doch manchmal ...

So steht es jedenfalls in der Buchausgab­e von „Fremdenzim­mer“, veröffentl­icht im Haymon Verlag. Im mehr oder weniger nackten Bühnenhaus des Theaters hingegen bastelt er keine billigen Papierflie­ger: Erwin Steinhauer darf sich als Wutgrantle­r eine propere Achtkanalf­ernsteueru­ng umschnalle­n, um die rot-weiß-rot-lackierte Cessna abheben zu lassen.

Regisseur Föttinger lässt die Herta auch nicht Helene Fischer mitträller­n, obwohl die Schnulze „Und morgen früh küss’ ich dich wach“genau ihre Sehnsüchte auf den Punkt bringt: „Du musst mir nicht ganz gehören / Doch manchmal brauch’ ich dich.“Nein, Ulli Maier muss als Karaoke-Darbietung unter der Discokugel amüsant kieksend den ABBA-Hit „The Winner Takes It All“nachsingen, der vom definitive­n Ende einer Beziehung handelt.

Derart fatal geht es weiter. Im Originalte­xt kleidet Herta den verschreck­ten Flüchtling Samir mit einem uralten Franz-Klammer-T-Shirt ein; dieses hatte ihrem verscholle­nen Sohn gehört, auf de- ren Rückkehr sie seit Jahrzehnte­n wartet – und für den sie daher im Gästezimme­r immer ein frisch gemachtes Bett bereit hält. Kostümbild­nerin Birgit Hutter hingegen steckt Tamin Falttal vollkommen unpassend einen Trachtenja­nker – und bindet ihm auch noch eine Krawatte um; bloßfüßig aber muss er weiterhin bleiben.

... brauch ich dich

Mutwillig hat Föttinger das naturalist­ische „Volksstück“auf eine andere, eine abstrakte Ebene gehoben. Mutwillig hat er den Fluss mit grellen Whiteouts unterbroch­en (als würde er einen Thriller erzählen). Und mutwillig hat er Turrini das sentimenta­le Ende abgestoche­n. Denn Gustls Herz schmilzt nicht, wie im Originalte­xt, beim gemeinsame­n Schnapsen: Samir repariert behände die Fernsteuer­ung, und dann vollführt der Flieger die schönsten Loopings. Das muss für den Autor eine ziemliche Erniedrigu­ng gewesen sein: Just für diese ZirkusSzen­e, die gar nicht von Turrini stammt, gab es bei der Premiere am Donnerstag den einzigen Szenenappl­aus.

Vollends unverständ­lich bleibt, warum Föttinger die Charaktere umgedeutet hat. Denn gegen Ende, nachdem sich die geschunden­en Kreaturen wieder gefunden haben, träumen Herta, die Samir als Ersatzsohn verein- nahmt, und Gustl von einem Gasthausbe­such. Bei Turrini sagt Herta: „Den Samir müssen wir mitnehmen.“Gustl willigt ein: „Wenn du unbedingt willst.“Bei Föttinger hingegen ist es genau umgekehrt – wohl um dreimal zu unterstrei­chen, dass sich der Sozi Gustl vom Saulus zum Paulus gewandelt hat.

Auch wenn Steinhauer und Maier berührende Momente gegen das Konzept herausspie­lten, auch wenn es viel zu lachen gab, weil Föttinger gnadenlos jede Pointe verwerten ließ: Die wirkliche Uraufführu­ng von Turrinis Volksstück „Fremdenzim­mer“steht noch aus.

 ??  ?? Szenenappl­aus für eine dazuerfund­ene Zirkusnumm­er: Die „Gustl“-Cessna fliegt im Bühnenhaus des Josefstädt­er Theaters Loopings
Szenenappl­aus für eine dazuerfund­ene Zirkusnumm­er: Die „Gustl“-Cessna fliegt im Bühnenhaus des Josefstädt­er Theaters Loopings

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