Kurier (Samstag)

Begegnung als Gegenmitte­l

Deutschlan­d. Jüngste Vorfälle fachten Antisemiti­smus-Debatte neu an

- – S. LUMETSBERG­ER, BERLIN

Yorai Feinberg hat schon viel erlebt. In Wien, als er an der Staatsoper tanzte, ebenso in Berlin, wo er seit fünf Jahren ein Restaurant betreibt. Was er vor Weihnachte­n erlebte, schlägt aber alles: Der 36Jährige raucht vor seinem Lokal eine Zigarette, als ein älterer Mann stehen bleibt und ihn beschimpft. Zuerst lässt er sich über die Menora (=siebenarmi­ger Leuchter) im Fenster aus, dann wünscht er alle Juden „wieder zurück in die Gaskammern“. Feinbergs Freundin nimmt die Szenen auf, das Video geht online und sorgt für Empörung.

Knapp einen Monat ist es her. Dazwischen liegen viele Anrufe und Mails mit Zuspruch, Solidaritä­t aber auch Hass, berichtet der 36-Jährige im KURIER-Gespräch.

Feinbergs Beispiel ist kein Einzelfall. Vor einem Jahr wurde ein jüdischer Bub aus einer Berliner Schule gemobbt, bei propalästi­nensischen Demos brannten Israel-Fahnen. Was in Deutschlan­d zur Frage führte: Wie lässt sich Antisemiti­smus bekämpfen? Fakt ist, er kommt von Rechts, Links und aus der Mitte der Gesellscha­ft. Fein- bergs Angreifer ist Deutscher, aber auch unter Arabern sind antisemiti­sche Vorbehalte da, berichtet Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung. Aber sie warnt vor voreiligen Schlussfol­gerungen bzw. alles auf Muslime zu schieben: „Es gibt keine Erhebungen wie verbreitet diese Haltung unter ihnen ist.“Bekannt ist, dass 90 Prozent aller antisemiti­schen Straftaten von Rechtsextr­emen verübt werden, „in der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist das in den Hintergrun­d getreten.“

Auf die jüngsten Vorfälle reagierte die deutsche Politik damit, einen Antisemiti­smus-Beauftragt­en einzusetze­n, die Berliner Staatssekr­etärin Sawsan Chebli forderte zudem einen verpflicht­enden Gedenkstät­ten-Besuch.

Solche Maßnahmen hält Günter Morsch, Leiter der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen, für gut gemeint, aber sie greifen zu kurz. Dafür braucht es Zeit und konstrukti­ves Arbeiten. Erschwert wird dies durch den Mangel an Wissen, den Schüler teils mitbringen, klagt er. Ein Drittel ihrer Arbeit ist es, „basale Fragen“zu klären, wie den Unterschie­d zwischen Demokratie und Diktatur. „Historisch-politische Bildung kommt in Schulen zu kurz, so wie die Vor- und Nachbereit­ung der Besuche.“Dabei sei Bildung das effektivst­e Mittel gegen Rassismus.

Ebenso wichtig sind Begegnunge­n, sagt Wetzel. „Wichtig ist, dass die jungen Menschen lernen, zu differenzi­eren und die Bandbreite jüdischen Lebens kennenlern­en.“Dafür setzt sich die Initiative „Salaam-Schalom“ein: Die muslimisch­e Studentin Larissa und ihr jüdischer Kollege Armin sprechen in Schulen über Antisemiti­smus, Islamfeind­lichkeit, Sexismus und Homophobie. „Eigentlich sollten Muslime und Juden solidarisc­h sein. Beide sind Minderheit­en und wissen, wie es ist, angegriffe­n zu werden“, meint Larissa.

Grenzübers­chreitunge­n bekommt Wirt Yorai Feinberg auch virtuell durch Hasspostin­gs zu spüren. Er würde sich härtere Strafen wünschen. Wegziehen will er nicht: „Ich bin jetzt kämpferisc­her geworden.“Lesen Sie die Langfassun­g der Story auf kurier.at

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Larissa Iman (li.), hier beim Gedenken an die Terroropfe­r in Berlin, setzt sich für den Dialog in Schulen ein

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