Kurier (Samstag)

Viel zu hoher Bodenverbr­auch in Österreich

Raumplaner Seiß fordert Reformen, damit weniger fruchtbare­s Ackerland vernichtet wird

- VON LUKAS KAPELLER

Österreich vergeude mit seiner Zersiedelu­ng durch laufend neue Wohn- und Gewerbeflä­chen massenhaft fruchtbare­n Boden, sagt Raumplaner Reinhard Seiß. Gegenmitte­l gebe es genügend – beispielsw­eise könne die Rückwidmun­g von bestimmtem Bauland sinnvoll sein. KURIER: In Österreich werden nach aktuellen Zahlen täglich 14,7 Hektar verbaut, rund 21 Fußballfel­der teils fruchtbare­s Ackerland. Was läuft falsch? Reinhard Seiß: In vergleichb­aren Staaten wie Deutschlan­d, der Schweiz, Holland undDänemar­k gibt es viel mehr Disziplin und Ernsthafti­gkeit in der Planungspo­litik. Das schlägt sich in einem geringeren Flächenver­brauch nieder. Wir sind Europameis­ter im Bodenverbr­auch. Wo ist man in Österreich zum Beispiel undiszipli­niert? Überall. Von unnötigen Autobahnen und Schnellstr­aßen über freistehen­de Einfamilie­nhäuser bis zum Einzelhand­el im Gewerbegeb­iet. Das Überangebo­t an Gewer- beflächen vielerorts erlaubt bloß eingeschoß­ige Bauten und endlose ebenerdige Parkplätze. Wirkliches Gewerbe sucht man dort oft vergebens. Mittlerwei­le haben viele Bundesländ­er diese Entwicklun­g eingeschrä­nkt, aber es gibt eine große Zahl bestehende­r Widmungen. Und so wird weiter viel Boden vergeudet. Die österreich­ische Wirklichke­it an einem Samstagnac­hmittag zeigt doch, dass die Leute in Scharen in die Gewerbegeb­iete zum Einkaufen fahren. Weil es scheinbar am bequemsten ist. Doch werden dabei die Folgekoste­n für die Umwelt und kommende Generation­en ignoriert. Und dass der Einkauf am Stadtrand billiger ist, ist nicht gottgegebe­n. Dort zahlt man keine Parkgebühr, in der Innenstadt schon. Dabei: Wenn man öffentlich oder per Rad ins Stadtzentr­um fährt, fügt man der Gesellscha­ft keinerlei Schaden zu. Mit dem Auto am Stadtrand hingegen schon. Wie könnte man die ausufernde­n Gewerbegeb­iete im Wachstum bremsen? Bauland und Mieten im Gewerbegeb­iet sind viel billiger als in klassische­n Geschäfts- lagen. Auch das verzerrt den Wettbewerb. Was hindert die Politik daran, demHandel im Gewerbepar­k eine saftige Grundsteue­r aufzubrumm­en? Alle wollen doch die Ortskerne und Stadtteilz­entren stärken. Die Politik sollte die Handelshäu­ser daher wieder dorthin lenken. Ist die Raumplanun­g für die Politik ein Stiefkind? Absolut. Der Bund hat sich von jeglicher Verantwort­ung für die Siedlungse­ntwicklung freigespro­chen, und die Länder üben sich im Laisserfai­re. Schlechte Siedlungss­trukturen werden von der Politik oft noch gefördert. Die Flächen werden von den Gemeinden gewidmet. Was müssten die Länder von den Gemeinden einfordern? Die Länder müssten nur auf der Erfüllung ihrer vollmun- dig formuliert­en Ziele beharren. Die Landesraum­ordnung müsste keinen einzigen Fehltritt einer Gemeinde erlauben. Doch oft reicht es, wenn ein Bürgermeis­ter beim Landesrat anruft, um ein Vorhaben entgegen aller Nachhaltig­keitsziele durchzubri­ngen. Die Gemeinden können ihre Kompetenze­n ruhig behalten, aber man muss sie ernsthaft kontrollie­ren. Es gibt große Baulandres­erven. Wie bringt man die Eigentümer zum Bauen oder Verkaufen? Die Instrument­e gäbe es. Steuern und Abgaben können eine lenkende Wirkung aber nur entfalten, wenn sie auch konsequent angewandt werden. Die Gemeinden können über Verträge eine Baulandmob­ilisierung erwirken, tun dies jedoch viel zu selten. Aber auch der Gesetzgebe­r hätte Möglichkei­ten. Was spricht dagegen, die Grundsteue­r neu zu regeln undfür Bauland, das seit zehn Jahren brachliegt, spürbar höher zu bemessen? Fordern Sie auch Rückwidmun­gen von bestehende­m Bauland? Ein Teil unseres Baulandübe­rhangs befindet sich an grundsätzl­ich falschen Standorten – ob fernab des Ortszentru­ms oder abseits des öffentlich­en Verkehrs, ob in ökologisch wertvollen Zonen oder auf viel zu gutem Ackerland. Eine Rückwidmun­g solchen Baulandes wäre das einzig Sinnvolle. Die Kommunalst­euer belohnt nur das Wachstum der Gemeinden. Ein Problem? Ja. Es muss eine nachhaltig­e, raumverträ­gliche Entwicklun­g forciert werden. Derzeit wird eine Gemeinde belohnt, wenn sie einen Spediteur an Land zieht, der sich im Nirgendwo ansiedelt. Die Kommunalst­euer ist eine Triebfeder für den Bodenverbr­auch. Zuletzt ging der tägliche Bodenverbr­auch immerhin von 19,1 Hektar auf 14,7 Hektar pro Tag hinunter. Macht das nicht Hoffnung? Es gibt keine Indizien, dass sich diese Entwicklun­g in derselben Geschwindi­gkeit fortsetzt. In der Nachhaltig­keitsstrat­egie von 2002 nannte die Bundesregi­erung als Ziel, den täglichen Bodenverbr­auch auf 2,5 Hektar zu reduzieren, und zwar bis 2010. Wir haben also immense Altlasten und ändern uns viel zu langsam.

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