Im Gottesstaat fallen die Kopftücher
Verhüllungszwang. 29 Frauen nach Abnehmen von Kopftuch in der Öffentlichkeit verhaftet
Eine Frau steht auf einem belebten Platz in Teheran – sie ist hier, um ein wichtiges Zeichen zu setzen. Für alle anderen sichtbar nimmt sie ihr Kopftuch ab und lässt es an einem Stock befestigt wie eine Fahne im Wind wehen. Daraufhin wird die Frau von der Polizei festgenommen – denn im Iran herrscht für Frauen und Mädchen ab neun Jahren Kopftuchpflicht.
Mit ihrem Protest gegen den Kopftuchzwang ist die junge Frau aber nicht alleine: Seit Dezember fordern immer mehr Iranerinnen ein Ende der Verschleierungspflicht und schließen sich der neuen Bewegung an. Am Donnerstag kam es deshalb erneut zu Festnahmen – 29 Frauen wurden verhaftet, weil sie ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abgenommen hatten.
Zweite Protestwelle
Unterstützung erhält die Bewegung auch von gläubigen Musliminnen, älteren Frauen und Männern. Auch Kleriker sollen sich angeblich angeschlossen haben.
Laut Beobachtern kann die neue Kopftuch-Bewegung als zweite Welle der landesweiten Unruhen eingestuft werden: Am 28. Dezember kam es im Iran zu Protesten gegen Inflation, Korruption und die politische und religiöse Führung, die zehn Tage andauerten. Tausende Personen wurden festgenommen, 21 Menschen starben. Einige der politischen Häftlinge kamen unter ungeklärten Umständen im Gefängnis um.
Auch die in Österreich lebende iranische Frauenrechtlerin Jaleh Lackner-Gohari sagt: „Es gibt eine weit verbreitete Unzufriedenheit, aus verschiedenen Gründen. Die Frauen werden von der patriarchalischen Herrschaft der Männer unterdrückt, doch Religion sollte nie über der Freiheit stehen“, sagt Lackner-Gohari zum KURIER. „Die Iranerinnen protestieren in erster Linie gegen den Zwang und nicht gegen das Kopftuch an sich.“
Die jüngsten Proteste knüpfen an die Online-Kampagne My Stealthy Freedom (Meine heimliche Freiheit) an, die 2014 von der Journalistin Masih Alinejad gegründet wurde. Frauen veröffentlichen Fotos von sich im Netz, auf denen sie ohne Kopftuch zu sehen sind. „Als Frauenrechtlerin bin ich begeistert, es hat etwas begonnen“, sagt Lackner-Gohari, „und es wird so schnell nicht wieder aufhören. Die Bewegung ist zu breit und zu öffentlich.“
Iranische Frauen haben schon länger versucht, sich gegen den Verhüllungszwang zu stellen: Immer wieder ließen sie eine Haarsträhne unter dem Kopftuch her- vorblitzen – was bereits strafbar war. Heute tragen viele Iranerinnen ihr Kopftuch weit hinter dem Haaransatz.
Kritik von Justiz
Der iranische Präsident Hassan Rouhani fordert die religiöse Führung dazu auf, die Proteste der Bevölkerung - ernst zu nehmen. Kritik kommt von der Justiz, die die Bewegung als „kindisch“und „trivial“bezeichnet: „Das Kopftuch in der Öffentlichkeit abzunehmen ist gegen das Gesetz und die islamische Pflicht und daher eine eindeutige Straftat“.