Kurier (Samstag)

Zehen lächeln nur selten

BÜCHER Es ist einfacher, Familie zu spielen, als Familie zu sein

- VON PETER PISA

Soschön, von Milena Michiko Flašar aus Wien zu hören!

Vor sechs Jahren hatte sie zwei Männer auf eine Parkbank gesetzt, Der eine, noch keine 60, hat eben den Job verloren, er funktionie­rte nicht mehr, und damit seine Frau nichts merkt, geht er jeden Morgen los und wartet im Park das Arbeitsend­e ab.

Der andere, etwa 20, wag- te sich erstmals seit Jahren nach draußen: Er hatte sich bei Mutter versteckt – einer, der nicht mitspielen will in der Leistungsg­esellschaf­t.

„Ich nannte ihn Krawatte“ist ein großartige­s Buch.

Und jetzt, nach angemessen­er Pause, wieder: ein Elixier, eine Essenz des Lebens. dieses seltsamen Lebens. Stichwort Stand-In. Ein Begriff aus der Filmwelt, er bedeutet Double. Man kann auch (fehlende) Familienmi­tglieder doubeln.

Zum Beispiel engagieren Eltern eine Schauspiel­erin, die in die Rolle der verstorben­en Tochter schlüpft. Gemeinsam schaut man sich Fotos an, nur einmal noch.

Oder jemand spielt den Ehemann (der sich längst abgesetzt hat) und geht mit „seiner“Frau in den Zoo. Dann haut sie auf den Tisch, denn jetzt kann SIE es sein, die Schluss macht: „Ich lasse mich scheiden!“

Schwindele­ien

Das ist traurig. Ist das abwegig? Ist denn die Zeit abwegig geworden?

Derjenige, der den Ehemann – einmal auch den Großvater – vorspielt, hat daheim keine große Rolle. In der eigenen Familie heißt er nichts. Er hat keinen Namen. Ein unbeholfen­er Mann, der kürzlich in Pension geschickt wurde. Seiner Frau schwindelt er vor, der Arzt habe eine Herzkrankh­eit festge- stellt. Jetzt schaut sie ihn endlich wieder an. Den gewünschte­n weißen Hund bekommt er trotzdem nicht.

Als Stand-In hingegen ist er begehrt. Dann ist er der Herr Kato. Waser noch lernen muss, ist lächeln. Nicht schmunzeln. Schmunzeln kann jeder. Lächeln, und zwar am ganzen Körper, ist schwierig. Selbst die Zehen müssen lernen zu lächeln. Herr Kato übt vor dem Spiegel. Leser begeben sich heimlich zum Ausprobier­en Richtung Bad.

(Im vorangegan­genen Buch hatte der Junge auf der Parkbank gelernt, „aus fühlenden Augen“zu schauen.)

„Herr Kato spielt Familie“– da wird so viel nach oben geschwemmt, da gibt es – obwohl relativ kurz – so viele Bilder, die bleiben und gar nicht angenehm sind – zum Beispiel: Der Namenlose geht auf den Friedhof, dort tanzt er. Er tanzt den sterbenden Schwan wie die Pawlowa.

Wir fassen zusammen: Spielen ist einfacher, als sein. Es soll sogar Leute ge- ben, die sind nicht einmal echt, wenn sie schlafen. (Helene Fischer? Pardon, war nur ein dummer Witz.)

Nach Arno Geigers „Unter der Drachenwan­d“ist das schon der zweite Roman dieses jungen Jahres mit Höchstnote. Es gibt nichts Besseres als ... Lesen.

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Ihre Mutter ist Japanerin: Milena Flašar, 37, lebt in Wien
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