Kurier (Samstag)

Mit diesen Schnapsdro­sseln macht das Trinken dann doch viel Freude Rätselrate­n rund um einen Muschelkal­kbrunnen

Kritik.

- – T. TRENKLER

Das Wiener Schauspiel­haus beeindruck­t in der Regel mit Szenarien, die weit mehr als nur ein Bühnenbild sind. So auch bei der Uraufführu­ng von „Ein Körper für jetzt und heute“von Mehdi Moradpour, der, 1979 in Teheran geboren, 2001 nach Deutschlan­d flüchtete: Ausstatter Davy van Gerven ließ originalge­treu einen mit Graffiti besprühten Brunnen nachbauen, der, wie ein Foto im Programmhe­ft zeigt, im Berliner Stadtteil Neukölln steht und 1914 im Andenken an den plattdeuts­chen Dichter Fritz Reuter errichtet wurde.

Wenn man genau schaut, entdeckt man, dass auf der Säule im Zentrum des Muschelkal­k-Brunnens eine andere Metallplas­tik steht, ein Windhund. Warum dieser Hund? Warum überhaupt der Brunnen? Weil man das aufgespray­te Wort „Gentrifica­tion“lesen kann? Weil der Brunnen inmitten eines sozialen Problembez­irks mit extrem hoher Ausländer- und Arbeitslos­enquote liegt?

Der poetische, sehr dichte wie dunkle Text hilft nicht wirklich auf die Sprünge. Konsumterr­or wie Kapitalism­us werden angeprange­rt, Moradpour erzählt mehrere Geschichte­n: Fanis etwa möchte Eva eine Niere spenden. Im Zentrum steht Elija, der sich zu einer Geschlecht­sumwandlun­g gezwungen sieht, da Homosexual­ität im Iran verfolgt wird; mit seinem neuen Körper aber kann er sich nicht identifizi­eren.

Zino Wey inszeniert­e den vielschich­tigen Text großteils als durchchore­ografierte Performanc­e: Vier Akteure – Simon Bauer, Vera von Gunten, Steffen Link und Martina Spitzer – waten durchs Becken, entledigen sich posierend ihrer Anoraks, bemalen schließlic­h Teile ihrer Körper mit Farbe. Der Kritiker bleibt ratlos – und entdeckt, dass es den Kollegen nicht anders ergeht. Aber das Bühnenbild ist toll. Und nach 80 Minuten ist die Darbietung zu Ende.

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Und Prost: Sona MacDonald (Hedwig), Elfriede Schüsseled­er (Irma), Marianne Nentwich (Marion), Therese Lohner (Constanze, v. li.)

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