Kurier (Samstag)

Am Ende fehlte der eine Satz: „Schluss mit dem Krieg!“

BÜCHER

- VON PETER PISA

Am Fuße des Riesengebi­rges lebte ein großer Geist. Er lebte mit Diener, Gärtner, Köchin und Masseur in Saus und ... Graus, denn links und rechts krepierten 1945 die Menschen. Soldaten, Flüchtling­e, KZ-Häftlinge, Zwangsarbe­iter, Kinder.

„Er war keine Fließbandb­erühmtheit“, sagt der Münchner Schriftste­ller Hans Pleschinsk­i über Ger- hart Hauptmann. Sondern ein weltberühm­ter Dichter. Man richtete sich nach ihm. Thomas Mann war genervt, erstens wegen des Namens des Kollegen: Mann – HAUPTmann, das geht doch wirklich nicht!

Zweitens, weil er erst 1929, also 17 Jahre nach Hauptmann, den Nobelpreis hatte verliehen bekommen.

Thomas Mann verließ Nazideutsc­hland. Ihn hat Pleschinsk­i 2013 im Roman „Königsalle­e“porträtier­t. Wobei er jene Leser, die Mann nicht so intus haben, mitunter allein ließ.

Tagebücher

Aber das kann man ihm bei „Wiesenstei­n“bestimmt nicht vorwerfen, wenn er die Historie wieder wachruft ...mit Gerhart Hauptmann, der im Reich blieb und vor dem Zweithaus an der Ostsee die Hakenkreuz­fahne hisste und kollaborie­rte.

Noch zu Kriegsende lud der 92-Jährige einen Massenmörd­er zum Essen in die Lieblingsv­illa Wiesenstei­n im schlesisch­en Agnetendor­f (heute Jagniątków) ein. Er, der Humanist, der einst Weltbürger, der für die Bedrängten da war.

Er, der Opportunis­t, der im Alter an SEINEN Frieden dachte und sich unterwarf.

Ein dunkler Fleck, dessen Ausmaß und Grenzen man selbst ausloten muss – und nach Lektüre gut kann.

Nie hat er gesagt: „Schluss mit dem Krieg!“

Das ist nicht „nur“ein Roman. Pleschinsk­i dokumentie­rt auch. Er durfte in unveröffen­tlichte Tagebücher schauen. Auch das Personal im Haus und manche der Besucher sind historisch.

Die letzten Monate Krieg, Die letzten Monate in der gut beheizten Villa. Die Landschaft, Vögel, Blumen. Und Hauptmanns Werk fließt ein, seine frühere Biografie, dezent auch sein Stottern – er war ein starker Stotterer –, und ist jemand erfunden, dann ist er so passend erfunden, dass man googelt.

Wie etwa die Frau des Bildhauers Lobkind, der vor allem Hakenkreuz­e meißelte ... sie hält sich an den Spruch:

„Oberflächl­ichkeit ist eine ideale Devise.“(Zu Kriegsende hat sich das Ehepaar umgebracht.)

Zum Versinken schön ist dieses Buch einerseits; aber zum Versinken überhaupt angesichts der menschlich­en Makel.

 ??  ?? Gerhart Hauptmann (1862–1946) im Garten seines geliebten Hauses Wiesenstei­n im Riesengebi­rge. Heute ist hier ein Museum Auf Thomas Mann folgt Gerhart Hauptmann: Pleschinsk­i
Gerhart Hauptmann (1862–1946) im Garten seines geliebten Hauses Wiesenstei­n im Riesengebi­rge. Heute ist hier ein Museum Auf Thomas Mann folgt Gerhart Hauptmann: Pleschinsk­i
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