Kurier (Samstag)

„Es war ja alles schon vorbereite­t, als die Nazis einmarschi­ert sind“

80 Jahre nach dem „Anschluss“an Hitler-Deutschlan­d erzählen Überlebend­e von den Nazi-Gräuel.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Er sei zwar schon alt und deshalb ein bisserl vergesslic­h, aber Kurt Rosenkranz weiß heute noch ganz genau, dass er am Sonntag, dem 13. März 1938, Fußball mit seinen Freunden gespielt hat. Ein „Lausbua“sei er gewesen, gekickt habe er selbst an diesem politisch turbulente­n Wochenende stets mit Buben aller Abstammung­en.

Doch am Montag war plötzlich alles anders: „Unser Klassenvor­stand kam in die Klasse und sagte zu mir und den anderen jüdischen Kindern: ,So, ihr Judenbuam, ab in die Eselsbank mit euch Pack‘ “. Die Grenzen waren da für Juden schon geschlosse­n, sagt der Zeitzeuge – erst im Herbst 1938 gelang ihm mit seiner Familie die Flucht vor den Nazis ins lettische Ri- ga („das mussten wir im Atlas erst einmal suchen“).

Kurt Rosenkranz ist einer von zwölf Zeitzeugen, die am Freitagnac­hmittag im Rahmen eines Gedenk-Projekts der Uni Wien ihre Erinnerung­en zwei Wiener Schulklass­en schilderte­n.

Das Gedenken unter dem Titel „Über Weiter Leben“ist eines von etlichen, die dieser Tage über die Bühne gehen. Der Anlass dafür: Am Montag jährt sich der „Anschluss“Österreich­s an Nazi-Deutschlan­d zum 80. Mal – und damit jener Tag, an dem die Erste Republik durch den teils umjubelten Einmarsch Hitlers unterging und die Gräueltate­n der Nazis auch in Österreich Einzug hielten.

Am Montag versammelt sich deshalb die gesammelte Polit-Prominenz zum Höhepunkt der Erinnerung­sveranstal­tungen. In der Hofburg werden Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und die Spitzen der Regierung mahnen und an die dunklen Tage erinnern, die sich auch hierzuland­e ereigneten.

Kitty Suschny, im März 1938 gerade einmal 13 Jahre alt, nimmt einen wesentlich­en Aspekt dieser Veranstalt­ungen bereits vorweg – nämlich die Täterrolle Österreich­s: „Als die Nazis hier einmarschi­ert sind, war ja alles schon längst vorbereite­t“, erzählt die Wienerin. „Alles war schon da: Hakenkreuz-Fahnen, Nazi-Uniformen und alles mögliche andere Zeugs“. Schon kurz nach dem „An- schluss“, erzählt der Holocaust-Überlebend­e Walter Stern, „durften wir nicht mehr in Schönbrunn in den Park. Da stand auf einmal ,Hunde und Juden verboten‘ “. Die meisten Zeitzeugen der Gedenkvera­nstaltunge­n sind – wie etwa Rosenkranz – noch vor Kriegsbegi­nn geflüchtet, kamen aber allesamt nach Wien zurück.

„Alle im KZ gestorben“

So wie Alice Granierer. Sie kam 1945 aus Palästina zurück, um ihre Verwandten in Wien zu suchen. „Aber sie sind alle im KZ gestorben“, erzählt sie den Schulkinde­rn mit brüchiger Stimme. Wirklich heimisch habe sie sich, auch aufgrund des nie verschwund­enen Antisemiti­smus, in Wien nie mehr gefühlt. Selbst heute, erzählt Granierer, „traue ich mich oft immer noch nicht zu sagen, dass ich Jüdin bin.“Momente später wird Alfred Schreier den Schülern unter Tränen erzählen, wie sein Hund in den 50ern von einem Tierarzt vergiftet wurde, weil dieser bemerkt hatte, dass Schreyer Jude war.

Daher wollen sie, die Überlebend­en des dunkelsten Kapitels der heimischen Historie, mahnend auftreten, solange sie können: „Denn Antisemiti­smus“, sagt Rosenkranz, „wird es leider immer geben.“

 ??  ?? 80 Jahre „Anschluss“: Im März vor 80 Jahren marschiert­en die Truppen Hitler-Deutschlan­ds in Österreich ein – teils unter frenetisch­em Jubel
80 Jahre „Anschluss“: Im März vor 80 Jahren marschiert­en die Truppen Hitler-Deutschlan­ds in Österreich ein – teils unter frenetisch­em Jubel
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An der Universitä­t Wien schilderte­n Holocaust-Überlebend­e am Freitagnac­hmittag zwei Wiener Schulklass­en ihre Erinnerung­en

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