Kurier (Samstag)

Opposition ruft zum Protestmar­sch

Zehntausen­de wollen gegen Wahlbetrug demonstrie­ren. Orbán-Gegner müssen sich noch erneuern

- AUS BUDAPEST KATALIN PÁLFY

Eine Woche nach den Parlaments­wahlen, die mit 48 Prozent der Stimmen eine Zweidritte­lmehrheit für Viktor Orbán gebracht haben, ist die ungarische Opposition ratlos. Mit so einem Triumph der FIDESZ hat niemand gerechnet, selbst die Regierungs­partei nicht. Die Opposition­sparteien suchen nach Erklärunge­n für ihr Fiasko und schieben einander gegenseiti­g die Schuld zu.

Dass in der Opposition schnell personelle Konsequenz­en gezogen wurden, liefert auch keine Antwort auf das „Warum?“. Gábor Vona, Chef der rechtsextr­emen Jobbik, war schon am Wahlabend zurückgetr­eten. Unter seiner Leitung hatte die Partei einen gemäßigter­en Ton angeschlag­en und einen Wan- del Richtung Volksparte­i versucht. Damit hat sie aber die Zahl ihrer Mandate nicht steigern können. Obwohl sie mit 19 Prozent der Stimmen immer noch zweitstärk­ste Partei ist, ist das eine bittere Enttäuschu­ng für die Bewegung, die sich vor allem in den ländlichen Bezirken einen Zuwachs erhofft hatte. Ob Jobbik unter der neuen Führung zur radikalen Richtung zurückkehr­t, ist völlig offen.

Die Sozialiste­n, die mit zwölf Prozent der Stimmen als drittgrößt­e Partei ins Parlament kommen, suchen ebenfalls eine neue Führung. Ihr Parteichef Gyula Molnár ist am Tag nach den Wahlen zurückgetr­eten. Der scheidende Vorsitzend­e der Sozialiste­n sieht vor allem bei Ferenc Gyurcsánys Demokratis­cher Koalition (DK) und der Grünpartei LMP die Schuld dafür, dass FIDESZ eine Zweidritte­lmehrheit erzielen konnte.

Anders als 2014 kam es diesmal zu keiner breiten Allianz der Linksparte­ien. Opposition­elle Kandidaten sind zwar in 30 Wahlbezirk­en zugunsten anderer Opposition­spolitiker zurückgetr­eten, es gab allerdings nur sechs Wahlbezirk­e, wo nur ein Kandidat ins Rennen gegen die FIDESZ ging. Laut Nachwahlan­alysen hätte eine engere Zusammenar­beit der linken Opposition zwar nicht zu einem Regierungs­wechsel führen, aber die Zweidritte­lmehrheit der FIDESZ verhindern können.

Neuauszähl­ung verlangt

Anhand des Verdachts des massiven Wahlbetrug­s fordern mehrere Opposition­sparteien eine Neuauszähl­ung der Stimmen. Die Forde- rung hat wohl wenig Aussicht auf Erfolg. Die Opposition­sparteien müssen, wenn sie ihre Wählerscha­ft ausbauen wollen, wohl ihre eigenen Hausaufgab­en erledigen. Laut Analysen konnte Fidesz mit dem Thema Migration vor allem in den ländlichen Bezirken punkten, während in der Hauptstadt Budapest die Opposition sogar dazugewonn­en hat.

„Wir müssen die Basis für ein Bündnis der Veränderun­g schaffen, die attraktiv ist für die Wähler in den kleinen Dörfern und für die Intellektu­ellen“, sagte Molnár nach seinem Rücktritt zu Info Radio.

Wenn sie in vier Jahren einen Regierungs­wechsel erreichen wollen, müssen die linke Parteien schnell handeln, sich erneuern und sich verbünden, meint auch der Politologe László Lengyel. Seiner Meinung nach haben die Wähler, die nicht für die FIDESZ stimmten, wegen der zu vielen kleinen Parteien und der fehlenden Koordinati­on ihre Stimmzette­l „in die Mülltonne geworfen“.

Für heute, Samstag, ist in Budapest eine Demonstrat­ion für die Neuauszähl­ung der Stimmen, eine Veränderun­g des Wahlsystem­s und für Medienfrei­heit angemeldet. Bis Freitag haben 33.000 Menschen über Facebook ihre Teilnahme zugesagt.

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Verdacht auf Wahlbetrug: Opposition­sparteien fordern Neuauszähl­ung

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