Kurier (Samstag)

„Würfeln wäre richtiger“

Experten kritisiere­n mangelnde Qualität der Bescheide. Diese sind teils voller Vorurteile und Fehler

- VON KATHARINA ZACH

Zu ungenaue Beschreibu­ngen von Vergewalti­gungen, Hinweise an Christen, dass sie nicht verfolgt würden, wenn sie ihren Glauben im Geheimen ausübten – Bescheide des Bundesamts für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) enthalten teilweise haarsträub­ende Formulieru­ngen, wie Asylanwält­e und NGOs berichten.

Die Experten überrascht nicht, dass 42,4 Prozent der negativen Asylbesche­ide 2017 in zweiter Instanz vom Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) aufgehoben wurden. Der KURIER hat einige „Stilblüten“gesammelt. Die meisten Asylverfah­ren gingen negativ aus, viele wurden vom Gericht aufgehoben, einige werden vielleicht auch bestätigt. Jedenfalls geben die Bescheide Einblicke in eine Behörde, in der mitunter Verwaltung­spraktikan­ten mit wenigen Monaten Ausbildung über Schicksale entscheide­n.

So wurde einem Iraki beschieden, er könne durchaus in Kabul oder einer anderen Großstadt des Irak leben – Kabul ist aber die Hauptstadt Afghanista­ns. Immer wieder kommt Kritik, dass das BFA mit unpassende­n Textbauste­inen arbeite.

Deutlich wird das im Fall eines 2016 in Österreich geborenen Kindes einer Iranerin. Da wird im Bescheid festgehalt­en, dass es „die in Ihrem Heimatland gespro- chenen Sprachen besser als Deutsch“verstehe.

Sogar persönlich­e Befindlich­keiten der Beamten finden den Weg in Bescheide. Etwa, wenn einer Afghanin, die laut eigenen Angaben vor ihrem gewalttäti­gen Mann und ihrer Schwiegerm­utter geflüchtet war, beschieden wird, dass Schwiegerm­ütter „weltweit“komisch seien, „wie man vielleicht aus eigener Erfahrung sagen kann“. Überhaupt sei unglaubwür­dig, ihr drogensüch­tiger Mann habe es „bei Schlägen und Tritten belassen“statt, wie zu erwarten wäre, „voller Ekstase“die Gelegenhei­t genutzt, sie zu vergewalti­gen.

Auch andere Passagen in Einvernahm­e-Protokolle­n sind zumindest unsensibel: Etwa, wenn einem Asylwerber beschieden wird, die Schilderun­g seiner Vergewalti­gung lasse „sämtliche Details vermissen“oder wenn ein homosexuel­ler Flüchtling gefragt wird, ob er „der weibliche oder männliche Part beim Geschlecht­sverkehr“sei – und, nach der Antwort, nachgefrag­t wird, ob es wehtue.

Politische­r Druck?

„Wenn man würfeln würde, wären die Entscheidu­ngen richtiger“, kommentier­t Asylexpert­e Christoph Riedl von der Diakonie. Er vermutet mitunter politische­n Druck, auch gebe es einzelne Referenten, die für negative Entscheidu­ngen bekannt seien. „Wenn wir wissen, dass eine gewisse Referentin den Fall bearbeitet, bereiten wir unsere Klienten darauf vor, dass ihr Antrag negativ wird“, sagt auch Marty Huber, Gründerin der Beratungsp­lattform „Queer Base“. Kritik kommt an der kurzen Ausbildung der Asylentsch­eider, der „Case Owner“. Sie müssen nur Matura vorweisen, dann folgt eine viermonati­ge Grundausbi­ldung sowie Fortbildun­gen.

Bei den Verfahren selbst stellen Experten fest, dass Aussagen mitunter nicht nachgegang­en wird und Ermittlung­en unterbleib­en, berichtet Lukas Gahleitner von der Deserteurs- und Flüchtling­sberatung. Beweiswürd­igungen seien oft mangel- haft. Der Flüchtling­shelfer Wolfgang Salm hat im Jänner mit Unterstütz­ern begonnen, Stilblüten zu sammeln und auf seiner Homepage

zu veröffentl­ichen. Er will die Fälle wissenscha­ftlich aufarbeite­n lassen. „Faire Verfahren schauen anders aus“, sagt er.

„Nicht jede negative Entscheidu­ng ist eine falsche Entscheidu­ng“, hält Asylanwalt Christian Schmaus fest. „Aber es gibt Fälle, in denen das Recht nicht so gewahrt wird, wie vorgesehen.“

Kürzlich hatte das BFA die Kritik gegenüber dem KURIER zurückgewi­esen und erklärt, dass die Mitarbeite­r streng nach rechtliche­n Standards arbeiteten.

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Auszüge aus dem Bescheid einer Afghanin, die vor ihrem gewalttäti­gen Ehemann floh Der negative Asylbesche­id eines einjährige­n Buben. Er wurde in Österreich geboren

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