Eine glücklose Glücksucherin mit maßlosen Gefühlsumschwüngen
Kritik.
Ungewöhnliches war zu erwarten. Unkonventionelles ist durchaus zu erleben bei der Dramatisierung von Gustave Flauberts Jahrhundertroman „Madame Bovary“im Theater in der Josefstadt.
Eilt doch der vor Kurzem noch vom Feuilleton als „Fräuleinwunder des deutschen Theaters“bezeichneten Regisseurin Anna Bergmann der Ruf voraus, sie lese ein Stück immer total anders als jeder andere.
Während sie ihr Credo so formuliert: „Ich stehe für ein bildstarkes, emotionales und gesellschaftlich relevantes Theater.“
Für Emma, die Titelgestalt der Geschichte der unglücklichen Glücksucherin, werden gleich fünf Darstellerinnen aufgeboten, doch neben „Vorstadtweib“Maria Köstlinger sind alle anderen – Bea Brocks, Ulli Fessl, Therese Lohner und Silvia Meisterle – mit opulenten Frisuren kaum mehr als Staffage und optischer Aufputz in einer nur auf den ersten Blick spartanisch ausgestatten Bühnenausstattung (Katharina Faltner), die alle Stückerln spielt.
Ambitionierte Regie
Auf Erzähllust aus dem Zuschauerraum folgt Spiellust mit sukzessiver dramatischer Zuspitzung. Emmas Schussfahrt in den Untergang führt nach der Flucht aus Unerfülltheit und provinzieller Enge in Liebschaften und schließlich in die Arme ihres letzten Liebhabers: den Kaufrausch. Und in den Bankrott.
Wobei Flauberts elegante Ironie undätzende Satire in der Kombination dialogischer Szenen mit narrativen Passagen nicht auf der Strecke bleibt.
Wie da die Lässigkeit der Geliebten – Christian Nickel als Rodolphe und Meo Wulf als mit einem Hoverboard über die Bühne f litzender Leon – auf die Bitterkeit der Enttäuschten trifft, wie die von Suse Wächter Berthe als creepy puppet – von Mutter Emma als „hässliches Kind“bezeichnet – immer wieder ins Spiel bringt, hält die Neugierde wach.
Maria Köstlinger spielt nicht nur Klavier, sondern auch virtuos und exhibitionistisch die maßlosen Gefühlsumschwünge der gescheiterten Glückssüchti- gen, gefangen in der Einöde des Alltäglichen und genervt vom Landarzt-Ehemann Charles, den Roman Schmelzer rollengerecht als freundlichern Langweiler verkörpert.
Und Siegfried Walther ist zuerst der mit allen Wassern gewaschene Apotheker Homais und dann der geldgeile Lheureux, der mit seiner Kundin Emma wie mit einer Marionette spielt und sie in den Ruin treibt.
„MeineTräume“, sagt Emma Bovary resignierend, „in den Schmutz gefallen wie verletzte Schwalben.“
Allerdings ist im Auf und Ab aus Verheißungen und gescheiteren Hoffnungen, aus Gier und Alltagsfrust in den 90 Minuten vor der Pause dann danach bald die Luft raus. Und man fragt sich: Warum nur muss sich Emma drei Stunden lang zugrunderichten?