Kurier (Samstag)

Der Staat als Datensamml­er

Die Regierung will Gesundheit­sdaten der Bürger an private Forscher geben – darf sie das?

- VON EVELYN PETERNEL

Niemand außer Arzt und Patient wird Zugriff haben. Diesen Satz hörte man von der Politik über die letzten Jahre mantraarti­g, wenn es um die elektronis­che Gesundheit­sakte, kurz ELGA, ging.

Bis jetzt. Mit einem neuen Gesetz, das derzeit im Parlament auf seine Verabschie­dung wartet, will die Regierung das Zweigespan­n aus Patient und Arzt um einen Dritten erweitern: die Forschung, und zwar im In- und Ausland. Was das für die Bürger heißt, beantworte­t der KURIER. Welche Daten sollen überhaupt weitergege­ben werden – und an wen?

Mit dem Forschungs­organisati­onsgesetz, das am Freitag im Parlament beschlosse­n werden soll, dürfen Daten aus staatlich verwaltete­n Datenbanke­n weitergege­ben werden. Darunter fallen etwa das zentrale Melde- und das Personenst­andsregist­er, Datenbanke­n der Sozialvers­icherungen, des AMS, Grundund Firmenbuch. Auch die elektronis­che Gesundheit­sakte ELGA, die Befunde, Medikament­e und Operatione­n beinhaltet, gehört dazu. Anfordern dürfen die Daten ab 2019 staatliche und private wissenscha­ftliche Einrichtun­gen sowie Einzelpers­onen aus dem In- und Ausland: Wer ein Forschungs­interesse nachweist undKostene­rsatz leistet – etwa ein Dissertant – „hat „Rechtsansp­ruch darauf“, sagt Datenschüt­zer Werner Reiter. Ist das nun wichtig – oder doch gefährlich? Dazu gibt es höchst kontrovers­e Meinungen. Ruth Ladenstein, Kinderkreb­sforscheri­n am Wiener St. Anna Spital, hält das Gesetz für unverzicht­bar – etwa für Langzeitst­udien: Dass Kinder mit Lymphknote­nkrebs im Alter ein massiv höheres Brustkrebs­risiko aufweisen, sei erst durch solche Daten eruiert worden. Auch für die Wirtschaft­spolitik – bei Prognosen von Arbeitslos­enzahlen und Konjunktur – seien die Bürgerdate­n unabdingba­r, sagt etwa Wifo-Forscher Gerhard Schwarz. Datenschüt­zer halten dagegen, dass „sensible Informatio­nen über den Gesundheit­szustand von Menschen an die Wirtschaft fließen können“, wie Angelika Adensamer, Juristin bei den Datenschüt­zern von epicenter.works, sagt – etwa an Versicheru­ngen. Problemati­sch sei, dass die Vorgaben zur Pseudonymi­sierung der Daten nicht ausreichen­d seien – Personenme­rkmale blieben durchaus zuordenbar. Reiter sagt, dass man leicht nachschärf­en und höhere Standards setzen könnte – nur würde das natürlich einen finanziell­en und personelle­n Mehraufwan­d bedeuten. Facebook kämpft gerade mit einer Affäre um den Missbrauch von Daten. Wäre so etwas durch das neue Gesetz auch hier möglich?

Das Bildungsmi­nisterium, für das Gesetz zuständig, sagt nein. Cambridge Analytica, die verantwort­liche Firma, „würde in Österreich nie den Status einer Forschungs­einrichtun­g bekommen“. Datenschüt­zer Reiter glaubt das nicht: Er hält einen ähnlichen Skandal für möglich, da die Bestimmung­en eher schwammig seien. Braucht der Staat dafür nicht meine Zustimmung? Nein. Die Möglichkei­t, aus dem Datentrans­fer an die Wissenscha­ft auszusteig­en, war zwar im ersten Entwurf des Gesetzes vorgesehen, wurde aber gestrichen. Derzeit kann man nur aus ELGA aussteigen – Hilfe dabei leistet etwa die ARGE Daten. Könnte ELGA nicht ausgenomme­n werden, wie FP-Ministerin Hartinger fordert?

Das ist fraglich. Hartinger müsste mit ihrem Anliegen nochmals in den Ministerra­t, und da bräuchte es das Ja der ÖVP. Dasselbe gilt für das Parlament. Doch selbst wenn ELGA ausgenomme­n wird, gibt es andere sensible Datenbanke­n, die für die Forschung geöffnet blieben – etwa jene der ansteckend­en Krankheite­n.

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