Kurier (Samstag)

Duell und Duett

Erstmals führen zwei Frauen die Traditions­parteien CDU und SPD. Wie sie es anlegen werden

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Wenn Andrea Nahles am Sonntag zur ersten weiblichen Parteivors­itzenden in der 153-jährigen Geschichte der SPD gewählt wird und nun mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Regierungs­parteien anführt, ist das ein historisch­es Novum in der Bundesrepu­blik: Erstmals stehen zwei Frauen an der Spitze des Landes.

Ob die Große Koalition funktionie­rt, hängt auch vom Zusammensp­iel der beiden ab, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. Laut und impulsiv gegen leise und nüchtern. Was sie eint, ist ein Ziel: das mühsam zusammenge­zimmerte Bündnis der schwächeln­den Volksparte­ien stabil zu halten. Ihre Motive: Angela Merkel will ihren Abgang selbst bestimmen, und Nahles, die deren Nachfolge anstrebt, muss die SPD zusammenha­lten und erneuern – dazu braucht es auch Erfolge in der Koalition. Sie werde ein Kraftzentr­um außerhalb der Regierung bilden, kündigte ihr Generalsek­retär an, also eine Art Gegenkanzl­erin sein?

„Streitbare­r Mensch“

Gegensätzl­ich verlief bereits ihr Aufstieg. Andrea Nahles, geboren 1970 in der Eifel als Tochter eines Maurermeis­ters, katholisch geprägt, gründete mit 18 einen Ortsverein in ihrer Heimatgeme­inde bei Koblenz. Mit 26 stand die Germanisti­kstudentin an der Spitze der SPD-Nachwuchso­rganisatio­n Jusos und beteiligte sich dann am Putsch mehrerer Partei-Größen (Rudolf Scharping, Gerhard Schröder). Oskar Lafontaine nannte sie ein „Gottesgesc­henk an die SPD“. Nach dem Sturz von Franz Münteferin­g gab die zur Generalsek­retärin aufgestieg­ene Nahles zu: „Ich bin ein streitbare­r Mensch.“

In ihren Zwanzigern hatte Merkel, evangelisc­he Pastorento­chter und Physikerin, eine Stelle am Zentralins­titut für Physikalis­che Chemie in Ost-Berlin. Erst mit 35 Jahren näherte sie sich der Politik, lernte das Handwerk in den Neunzigern im Schatten von Helmut Kohl. Ihre Emanzipati­on vom CDU-Patron folgte via Gastbeitra­g in der FAZ, nachdem er sich in einen Parteispen­denskandal verstrickt hatte: Sie schrieb, dass der Langzeitka­nzler der „Partei Schaden zugefügt“habe. Sie müsse nun „laufen lernen, sich zutrauen, in Zukunft auch ohne (...) Helmut Kohl (...) den Kampf mit dem politische­n Gegner aufnehmen“.

Ein mutiger Schritt von einer, die zuvor kaum auffiel, und der sie zur „Nestbeschm­utzerin“machte. In den Augen vieler Unionspoli­tiker war sie ohnehin nur „Übergangsk­andidatin“. Wie sie sich doch täuschen sollten. Merkel entwickelt­e ein untrüglich­es Machtgespü­r, stach viele Rivalen aus oder servierte erfolglose Mitstreite­r ab, seither hält sich das Narrativ von der „Männermörd­erin“. Vielleicht liege es aber auch an den Männern selbst, denen so etwas passiere. „Sie sollten sich fragen, was sie falsch gemacht haben“, stellt eine junge Konservati­ve fest.

„...oder er killt dich“

Vielleicht denkt Martin Schulz manchmal darüber nach. Aus einem Gespräch mit Spiegel- Reporter Markus Feldenkirc­hen, der den Aufstieg und Fall des einst gehypten SPD-Vorsitzend­en dokumentie­rte (Die Schulz-Story), ist dieser Satz überliefer­t: „Entweder du killst ihn, oder er killt dich.“Gemeint war Außenminis­ter Sigmar Gabriel, der Satz stammt von Nahles. Also griff Schulz nach dessen Amt, das ihm in den Augen vieler nach all den Schlenkern nicht zustand. Schulz trat zurück, Andrea Nahles übernahm. Doch die Rochade warf kein gutes Licht auf sie. Sie sei zu sehr in der Partei verästelt, stehe für keinen Neuanfang, unkte die Basis.

Diese Argumente wird sie auch am Parteitag hören, vielleicht sogar von ihrer Gegenkandi­datin Simone Lange. Die Flensburge­r Bürgermeis­terin gilt derzeit als Sprachrohr der Unzufriede­nen, die den Erfolg der SPD in einem Linkskurs sehen. Aber Nahles versteht es, Widerspens­tige einzuhegen. Dass die SPD für Koalitions­gespräche stimmte, geht auf ihr verbales Inferno zurück. So viel Leidenscha­ft brachte ihr auch schon Häme ein, als sie im Bundestag das Pippi-Langstrump­f-Lied krähte oder als frisch gekürte Fraktionsc­hefin der Union denMarschb­lies („Jetzt gibt’s auf die Fresse“).

Sprüche, die undenkbar wären für die nüchterne Theoretike­rin Merkel. In Höchstform neigt sie eher zu flapsi- gen Sätzen („Das war ein Knaller“). Bei Problemen bleibt sie im Hintergrun­d, will als überpartei­lich gesehen werden und versucht, zu moderieren – was bei den Jamaika-Verhandlun­gen nicht klappte.

Und bei Konflikten? Den Feind zum Freund machen. So band Merkel ihren Widersache­r Jens Spahn in die Kabinettsd­isziplin ein: Er kann sich nun als Gesundheit­sminister beweisen. Für internen Frieden musste sie seinen Vorgänger, den loyalen Hermann Gröhe, opfern. Dafür kürte Merkel mit Annegret KrampKarre­nbauer eine ihrer engsten Vertrauten zur Generalsek­retärin.

„Brücken bauen“

Nahles setzt wiederum auf Männer, die wie sie einst JusoVorsit­zende waren. Ob Kevin Kühnert, der als Koalitions­gegner bei der Basis ebenfalls einen Hype entfachte, auch einmal in diese Riege kommt? Er soll eine Arbeitsgru­ppe leiten, bestätigt Generalsek­retär Lars Klingbeil dem KURIER. Über welche, werde nach dem Parteitag entschiede­n.

Und auch Andrea Nahles arbeitet schon an ihrer neuen Rolle. Nach Merkels Regierungs­erklärung setzte sie in ihrer Rede deren Sprech fort („Wir wollen Brücken bauen“). Gleichzeit­ig fordert sie seit Tagen ein Machtwort von der Kanzlerin im Streit der Union mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron um dessen EUReformpl­äne.

Bei allen Differenze­n – die Kanzlerin schätze Nahles, hört man. Als Arbeitsmin­isterin habe sie bewiesen, dass sie nicht nur f lott Sprüche klopft, sondern auch f leißig ist. Dafür gab es Unterstütz­ung. Nur bei der Mindestren­te für langjährig Versichert­e stand Nahles alleine da – obwohl die Reform im Koalitions­pakt stand.

So etwas dürfe nicht noch einmal passieren, ist man sich in der SPD einig. Generalsek­retär Klingbeil: „Wenn sie ein Ziel erkennt, setzt sie viel durch, auch bei Widerstand des Koalitions­partners.“Nun muss sie nur noch dem Widerstand in der eigenen Partei standhalte­n. Bei der SPD, die sich immer nach Lichtfigur­en sehnt, löst Nahles am Sonntag jedenfalls sicher keinen Hype aus. Vielleicht bringt ihr aber genau das mehr Glück als ihren Vorgängern.

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Andrea Nahles übernimmt die SPD. Mit CDUChefin und Kanzlerin Merkel führen nun zwei Frauen Deutschlan­d

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