Kurier (Samstag)

Mehr Messer, aber nicht mehr Gewalt

In Europa nehmen Angriffe mit Stichwaffe­n zu. Die meisten Taten passieren im engeren Umfeld.

- VON DOMINIK SCHREIBER UND DANIEL MELCHER

„Zwei Messer-Morde an einem Tag“oder sogar „1200 Prozent mehr Gewalt-Delikte an Schulen“lauten derzeit Schlagzeil­en. Auch die (leicht) zunehmende Zahl der Angriffe auf Polizisten beschäftig­t die Gazetten. Verroht die Gesellscha­ft also, wie manche nun konstatier­en? Tatsächlic­h ist die Zahl der Gewaltdeli­kte seit einem Jahrzehnt konstant, sie schwankt zwischen 40.100 und 44.300 Taten.

Selbst die sogenannte Flüchtling­skrise änderte nichts daran, dass die Gewaltdeli­kte relativ konstant bleiben. Das besagt die polizeilic­he Kriminalst­atistik, die von FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl verantwort­et wird. Dennoch ist die Zahl der Mordfälle in Wien derzeit etwas höher als in den vergangene­n Jahren. Aktuell sind es bisher 14 Morde.

Der erste Fall ereignete sich im Jänner, als ein 41-jähriger Mann seine Frau erstochen und sein Kind erwürgt haben soll. Auch der mutmaßlich­e und besonders grauenhaft­e Mord an der siebenjähr­igen Hadish mit einem Brotmesser sorgte für entspreche­ndes Aufsehen. Dazu kommen weitere Vorfälle mit Messern etwa im Bereich Praterstra­ße, als ein Afghane vier Personen schwer verletzt hat oder der Angriff auf einen Soldaten im März durch einen Wiener mit ägyptische­n Wurzeln. Oder der Angriff vor der Schule Schopenhau­erstraße, als ein 16-jähriger auf einen 14-Jährigen eingestoch­en haben dürfte.

Würde die Schlagzahl an tödlichen Verbrechen bis Jahresende so weitergehe­n, dann könnte es in der Bundeshaup­tstadt die höchste Mordrate seit den 90er-Jahren geben. Das klingt auf den ersten Blick schlimm – allerdings ist die Zahl an Morden verglichen mit anderen Großstädte­n so gering, dass ein statistisc­her Ausreißer durchaus möglich wäre – oder sich die Mordrate bis Jahresende noch einpendelt. Fest steht, dass österreich­weit die Mordrate wieder ansteigt, allerdings war sie 2011 und 2012 noch weitaus höher als jetzt.

Mehr Stichwaffe­n

Wirklich auffällig sind dagegen Teilsegmen­te der polizeilic­hen Bilanz. Im Jahr 2010 hat die Zahl an eingesetzt­en Hieb- und Stichwaffe­n bei Gewaltdeli­kten schlagarti­g zugenommen. Waren es bis dahin meist unter 300 Angriffe, sind es seither jährlich rund 650 bis 1150. In den vergangene­n Jahren wurden in Ländern wie Deutschlan­d oder Großbritan­nien ähnliche Trends spürbar. In Kanada wurde sogar ein Einfuhrver­bot für Messer erlassen, in England wurde der Online-Handel eingeschrä­nkt und auf viele Jugendlich­e eingewirkt, ihre Waffen abzugeben. Aufmerksam­keit ist angebracht, akuten Handlungsb­edarf gibt es derzeit aber bei Gewalt mit Messern nicht. Auch die Wiener Polizeispi­tze reagiert nicht auf die mediale Hysterie und sieht momentan noch keinen Grund, mehr als bisher in Sachen Messeratta­cken einzugreif­en. Zuverschie­denartig sind die Delikte gelagert, auch die Klärungsqu­ote ist gut. Auch können Brotmesser kaum verboten werden.

Alle heuer geklärten Mordfälle in der Bundeshaup­tstadt haben sich jedenfalls innerhalb von Familien zugetragen oder zumindest im unmittelba­ren Bekanntenk­reis. Auch deshalb passieren die meisten Attacken und Gewaltausb­rüche innerhalb der Ethnien. Die Wahrschein­lichkeit, in Wien durch fremde Hand getötet zu werden, ist etwa so hoch wie zwei Lottosechs­er in einem Leben zu erraten.

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