1 Meter 40 konzentrierter Sex
Keine Langeweile im Schlafzimmer
Die legendäre Sexualtherapeutin Ruth Westheimer wird 90 – ihre besten Ratschläge.
Es ging umRomantik, ich sollte darüber einen längeren Text schreiben, recherchierte, las viel. Und stieß schließlich auf „Dr. Ruths Tipps für wahre Romantik“. Noch heute klebt ein Post-it mit dem „Best-of“daraus auf meinem Computer: „Weinen Sie gemeinsam!“, „Schicken Sie Luftballons ins Büro.“sowie: „Sagen Sie Danke.“
Wer wie ich seit 16 Jahren im KURIER-Freizeit-Magazin über Liebe und Sex schreibt, kommt kaum an Ruth Karola Westheimer vorbei. Sie gilt als berühmteste Sexualtherapeutin der Welt, die Promis lieben sie. Weil ihr Nachname „Westheimer“für Amerikaner schwer zu merken ist, nennt sie sich Dr. Ruth. Am 4. Juni 2018 wird Mrs. Westheimer 90.
Peinlich? Niemals!
Berühmt wurde sie in den 1980er-Jahren, als sie in ihrer Radiosendung „Sexually Speaking“einschlägige Tipps gab und für mehr Licht im Schlafzimmerdunkel sorgte. Dr. Ruth gilt als Pionierin, die mit ihrer herrlichen Direktheit und schnarrender Stimme Dinge benennt, die andere erröten lässt. „Ich bin 1 Meter 40 konzentrierter Sex“, sagt sie gerne über sich. Talk-Show-König David Letterman antwortete auf die Frage, welche Gäste ihn schon in die Bredouille gebracht hätten: „Dr. Ruth Westheimer bringt mich mit ihrem ganzen Gerede über Klitorisse und Penisse immer in Verlegenheit.“In Interviews erzählt Dr. Ruth oft von jenem jungen Mann, der bei ihr Rat suchte, weil es ihn erregt, wenn seine Freundin Zwiebelringe über sein Glied streift. Peinlich? Gibt’s nicht. Nicht für sie. Alles erlaubt, so lange es niemandem schadet. Was Menschen in ihren vier Wänden oder auf ihren Küchentischen machen, ist aus ihrer Sicht deren Sache – Spaß darf sein.
Ich bewundere diese Frau. Nicht nur wegen der Leichtigkeit, mit der sie sexuelle Probleme anspricht und möglichst simple, anwendbare Lösungen dafür sucht, sondern vor allem für ihre Lebenskunst. „Die meisten Leute sehen in mir einfach diese kleine Frau, die mit einem drolligen Akzent über Sex spricht“, sagt sie. Doch sie ist viel mehr als das: Die Jüdin verließ mit zehn Jahren in einem Kindertransport ihre Heimatstadt Frankfurt am Main Richtung Schweiz. Ihre Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Trotz ihres Schicksals konnte sie etwas entwickeln, das sie „Joie de vivre“(Lebensfreude) nennt. Darüber hat sie ein Buch mit dem Titel „Lebe mit Lust und Liebe“(Herder Verlag) geschrieben. Es zu lesen, lohnt sich. Insgesamt hat Dr. Ruth mehr als 30 Bücher geschrieben.
„In Interviews mit Journalisten werde ich oft gefragt, woher ich meine Joie de vivre nehme. Menschen, die meine Lebensgeschichte kennen, fragen sich, wie ich so viel positive Energie in mir haben kann. Sie sehen, dass ich anscheinend an allem Freude habe, was ich mache und wollen mein Geheimrezept wissen“, schreibt sie. Doch sie hätte kein Wundermittel und sehe sich nicht als Popeye, der Seemann, der nur eine Dose Spinat zu essen bräuchte, um es dann mit der ganzen Welt aufnehmen zu können. Was Westheimer aber perfekt kann und es mit 90 immer noch tut: stets das Positive wahrnehmen. Das ist mehr als Lebensfreude, sondern „das Gefühl, sich quicklebendig zu fühlen, wenn die Lust am Leben aus allen Knopflöchern quillt und man am liebsten die Straße entlanghüpfen würde“. Darauf versucht sie sich zu fokussieren, nicht nur: „Die Antwort ist auch, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.“Das macht Mut – vor allem am Spätnachmittag des Lebens.
Nur nicht fad sein
Langeweile mag sie gar nicht. Dr. Ruth ist Dr. Rastlos. Nach wie vor hält sie Vorträge, ist Gast in Talkshows, sammelt Puppenhäuser und Schildkröten. Im „Time Magazine“hat sie seit einiger Zeit eine Kolumne, in der sie schon mal heikle Themen wie diese bespricht: „Was man tun sollte, wenn der Körper während des Sex komische Geräusche macht.“Ihr „Joiede-vivre“-Rezept fließt auch in ihre Arbeit ein – als Frage der Haltung: „Jeder, der eine positive Einstellung zur Sexualität hat, kann darin eine große Lust finden, egal wie groß die Herausforderungen auch sein mögen.“Langeweile ist aus ihrer Sicht auch die Gefahr Nummer 1 jeder Paarbeziehung: „Wenn Sie beim Frühstück zu Ihrem Mann oder Ihrer Frau hinüberschauen und im Stillen denken: ,Wie langweilig‘, dann sind Sie keinen Deut weniger gelangweilt, wenn Sie in der Tominagi-Stellung nackt auf dem Boden liegen“, schreibt sie. Das einzig Richtige sei es daher, mit aller Kraft daran zu arbeiten, die Langeweile aus jedem Aspekt der Beziehung zu vertreiben. „Der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, lautet: Finden Sie heraus, wie Sie so durchs Leben gehen können, dass Sie Augen und Mund aufreißen und Ihnen vor Staunen die Spucke wegbleibt.“Danke dafür.
Und: Happy B-Day, Dr. Ruth – möge es für Sie auch noch mit 100 so sein.