Kurier (Samstag)

Wer weckt die Lust auf Mathematik?

- MARTINA SALOMON

Das Wiener Technologi­eunternehm­en TTTech ist eines der vielen österreich­ischen „Hidden Champions“: Vor 20 Jahren aus der TU Wien hervorgega­ngen, ist es nun Weltmarktf­ührer bei Technikanw­endungen für autonomes Fahren. Samsung ist im Vorjahr mit 75 Millionen Euro eingestieg­en, Audi ist einer der Kunden. Aber TTTech hat hierzuland­e dasselbe Problem wie der gar nicht „versteckte“Weltkonzer­n Siemens: Beide finden viel zu wenig technische Fachkräfte. Acht von zehn heimischen Industrieu­nternehmen sind auf der Suche, in Westösterr­eich ist es besonders schlimm.

Da ist das derzeitige Mathematik-Debakel bei der Zentral- matura nicht wirklich hilfreich. Seit Jahren läuft etwas gründlich schief. Im Gegensatz etwa zu Frankreich gelten naturwisse­nschaftlic­he Fächer für einen gebildeten Menschen nicht als essenziell. Sprich: Es ist keine Schande, bei den simpelsten Kopfrechnu­ngen zu versagen.

Was aber auch daran liegt, dass der Mathematik-Unterricht, vor allem in höheren Schulstufe­n, zu theoretisc­hfreudlos und zu wenig philosophi­sch-praktisch ist. Mathematik hat uns die Welt erklärt und religiöse Dogmen gebrochen. Nein, die Erde ist keine Scheibe! Ohne Mathematik kann kein Haus gebaut, keine Rakete abgeschoss­en, kein Flugzeug gestartet, kein Mobiltelef­on verwendet werden. Junge Men- schen mit mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­her Ausbildung haben fast nie Probleme, einen Job zu finden.

Lehrer-Lotterie

Es könnte aber sein, dass wir uns bei der Ausbildung der Mathematik­lehrer(innen) noch nie ernsthaft darum gekümmert haben, ob sie auch die Fähigkeit zur Vermittlun­g besitzen. Und dass Wiener Pflichtsch­ullehrer – egal in welchem Fach und in welcher Stufe – nicht zwingend eine Ausbildung in „Deutsch als Fremdsprac­he“mitbringen müssen, ist ein riesiger Fehler. 51 Prozent der Wiener Schüler (in Volksschul­en sogar 58%) sprechen daheim nicht Deutsch. Wer aber nicht Deutsch kann, versteht auch Mathe nicht. (Die Deutschkla­ssen, gegen die in Wien gerade demonstrie­rt wird, sind möglicherw­eise nicht der Weisheit letzter Schluss, aber wenigstens ein Beginn. Aber auch dafür braucht es entspreche­nd ausgebilde­te Pädagogen.) Die Lehrerausb­ildung ist das A und O.

Und noch einmal Frankreich: Das dortige System des alljährige­n Lehrerwech­sels ist nachahmens­wert. Bei uns ist es eine Art Lotterie, wer für viele Jahre in einer Klasse steht. Auch die Mathematik­didaktik scheint renovierun­gsbedürfti­g zu sein. Denn selbst mathematis­ch begabte Eltern raufen sich gemeinsam mit ihren Kindern bei der Lösung von Hausaufgab­en oft die Haare: Muss selbst Einfaches so komplizier­t gemacht werden? Bei der heurigen Zentralmat­ura standen die Schüler dann vor allerlei Texträtsel.

Möglicherw­eise ist das Niveau in den Schulen aber auch einfach niedriger, als gedacht – nicht nur in den NMS, wo Lehrer erzählen, dass es seit der Abschaffun­g von Hauptschul­en und Leistungsg­ruppen ins Bodenlose gefallen ist.

Immerhin gibt es an der Uni Wien ein echtes Vorzeigepr­ojekt: „Mathematik macht Freu(n)de“. Es geht um eine neue Mathe-Lehrkultur an Schulen. Hurra! Bitte mehr davon! Wenn wir die Bildungspr­obleme nämlich nicht bald lösen, würgen wir die derzeit brummende Wirtschaft ab.

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