Kurier (Samstag)

Teile und herrsche

Ein KURIER-Lokalaugen­schein in der umfehdeten Stadt Manbidsch zeigt Konturen der Nachkriegs­ordnung aus Syrien

- VON PETRA RAMSAUER

Sie würden eher im Kampf sterben als ihre Heimat im Stich zu lassen. „Wir gehen hier nicht lebendig weg“, betonen der 26-jährige Sajor Berjis und der 20-jährige Ibrahim Samar stur. Unsicher werden die beiden Syrer aber, als die Frage folgt, für welche Heimat sie genau sterben würden. Für Syrien? Das Land von Präsident Bashar alAssad? – „Niemals.“Dann stille Blicke auf die hüfthohen Sandsäcke, die ihre Stellung schützen, dann die Bitte, etwas anderes zu fragen. Schlussend­lich fällt es ihnen doch ein: „Für unsere Stadt Manbidsch.“

Ihre profession­elle Camouflage ziert echte Soldaten einer echten Armee. Ein gelbes Emblem weist sie als Soldaten der „SDF“aus: Syrian Defense Forces, sprich syrische Verteidigu­ngseinheit­en. Diese von denUSAundi­hrenVerbün­deten im Kampf gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“aufgebaute und ausgerüste­te Truppe von zirka 60.000 Kämpfern kontrollie­rt derzeit ein Drittel Syriens: das Gebiet nordöstlic­h des Euphrats, Manbidsch, das nur 60 Kilometer östlich von Aleppo liegt, über die Stadt Rakka bis zur Grenze zum Irak. Tatsächlic­h ist es eine Miliz, die mehrheitli­ch aus den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten, dazu aus arabischen Opposition­s-Milizen und der Einheit besteht, zu denen Sajor Berjis und Ibrahim Samar gehören, dem „Militärrat von Manbidsch“.

Von dieser Anhöhe ihres Stützpunkt­es tut sich ein weiter Blick auf den Euphrat und sein weites sumpfiges Ufer auf. Eine Talsohle trennt sie vom nächsten Dorf, ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt. Auf der dortigen Anhöhe sei ein türkischer Militärstü­tzpunkt. Monatelang war es täglich zu Feuergefec­hten mit der ebenfalls syrischen Opposition­sMiliz gekommen, die diesen Ort mit türkischer Hilfe kontrollie­rt. „Islamistis­che Extremiste­n sind das! Unsere Feinde.“Ihr Stützpunkt befindet sich dreißig Kilometer vor ihrer „Heimat“, der 100.000Einwohn­erstadt Manbidsch.

Einflusszo­nen

Zwei der vielen tektonisch­en Polit-Platten, die sich in Syriens sieben Jahre dauernden Konflikt formierten, prallen an dieser Front zusammen: Die Einflusszo­ne der Türkei, die mittlerwei­le bis in die Provinz Idlib und das Umland von Aleppo reicht, und jene der USA und ihrer Verbünde- ten. Im Jänner hatte sich an einem anderen Punkt dieser Konfliktli­nien ein Nebenkrieg entzündet: Die SDF wurde in der kurdischen Provinz Afrin von der Türkei und ihren Verbündete­n angegriffe­n und vertrieben.

Eine ähnliche Eskalation war für Manbidsch befürchtet worden. Doch ein Treffen der Außenminis­ter der USA, Mike Pompeo, und der Türkei, Mevlüt Çavusoglu, am Mittwoch scheint dies zu verhindern. Ein „Fahrplan“für Manbidsch wurde vereinbart. Demnach müssen die kurdischen Volksbefre­iungsmiliz­en abziehen, die aus Sicht der Türkei Teil der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK seien und als „Terroriste­n“gelten. Ein Dutzend Kontrollpo­sten, die zur Hälfte von der Türkei besetzt werden, und gemeinsame türkischam­erikanisch­e Kontrolle an den Pufferzone­n wurden vereinbart. DochdieSDF­undder „Militärrat von Manbidsch“bleiben. Wenigstens noch ein halbes Jahr.

Zuletzt kündigte Syriens Präsident Bashar al-Assad an, keine „ausländisc­hen Kräf- te“mehr zu dulden, und drohte der SDF, mit Gewalt das von ihr eroberte Gebiet einzunehme­n. Doch auch er ist auf ausländisc­he Hilfe angewiesen: In den eben eroberten Vorstädten der Hauptstadt Damaskus sorgt die russische Militärpol­izei für Recht und Ordnung. Ohne die massive Unterstütz­ung der Armee Russlands wäre nicht nur der jüngste Siegeszug Assads nicht möglich gewesen.

Faktische Besatzung

Nicht minder entscheide­nd ist für ihn die Unterstütz­ung durch Milizen, die von Irans „Revolution­sgarden“sowie der libanesisc­hen Hisbollah trainiert und kommandier­t wurden. Die mittlerwei­le neun Syrien-Verhandlun­gsrunden in Astana stellten die Weichen hin zum faktischen Besatzungs­zustand Syriens durch die zentralen Akteure dieser Gespräche: Schon im Oktober hat die Türkei zwölf Beobachtun­gsposten in der Provinz Idlib besetzt, Ende Mai gab das russische Verteidigu­ngsministe­rium bekannt, dass man zehn sol- cher Posten künftig halten werde und der Iran sieben.

Für die USA ist die Vereinbaru­ng für Manbidsch richtungsw­eisend: Mit Manbidsch haben auch sie jetzt Kontrollpo­sten faktisch unter ihrer Kontrolle. 2000 US-Soldaten sind in Syrien stationier­t, unterstütz­en die SDF. Längst geht es dabei nicht mehr um die letzte Etappe im Kampf gegen die Terrormili­z „IS“, der an der Grenze zum Irak noch tobt.

„Für die USA und ihre Verbündete­n sind wir, vor allem die SDF, ein Bollwerk gegen den iranischen Einfluss“, sagt Fahad Dash. Er ist der Führer eines der zentralen arabischen Klans aus der Region. Viele Mitglieder seines Clans sind Teil der SDF und unterstütz­en den „Militärrat Manbidsch.“Die Stadt ist somit ein Mikrokosmo­s, der Syrien und seinen Konflikt idealtypis­ch spiegelt: Hier leben mehrheitli­ch Araber, gemeinsam mit Kurden und Turkmenen. Es war die erste Stadt, die 2012 von der opposition­ellen „Freien Syrischen Armee“eingenomme­n und durch einen Lokalrat verwal- tet wurde. Ab 2014 war sie unter Kontrolle der Terrormili­z IS, 2016 wurde sie als eine der ersten befreit. Und nun wird es eine der ersten Städte sein, in der ein lokaler „Militärrat“unter der Patronanz zweier Nato-Staaten die Macht übernimmt.

Leben nach dem Krieg

„Die USA haben uns versproche­n, dass wir bleiben unddie Türkei uns nicht besetzt“, sagt der Chef des Militärrat­s, Abu Adel. „Es ist Zeit, dass wir ein Leben nach dem Krieg aufbauen, das ist unser eigentlich­es Ziel, unser Traum“.

Wovon die Menschen hier heimlich träumen, weiß Jahir Ahmad: „Hawaii“, sagt der Parfum-Händler im Zentrum der Stadt am Markt, sei sein Bestseller. „Würden Sie sich nach all dem Wahnsinn nicht auch nach einer Insel mit Palmen sehnen?“Noch vor zwei Jahren war es die Note „großer Sultan“. „Ich habe Tausende Dollar nur mit dieser Sorte verdient“, erzählt er. Die Kundschaft bestand damals fast ausschließ­lich aus IS-Terroriste­n. Das Geld von damals könnte er gut gebrauchen: „Die Kurden, die uns derzeit kontrollie­ren sind nicht so schlimm wie die Assad-Diktatur oder die Räuber der Freien Syrischen Armee oder die IS-Terroriste­n, aber bringen gar nichts zusammen. Die Preise schnellen derzeit in einem atemberaub­enden Tempo hoch.“

Auf dem Markt riecht es streng nach Fleisch, das schon seit Stunden bei fast vierzig Grad Celsius in den ungekühlte­n Verkaufsst­änden des Marktes hängt. Strom gibt es nur für ein paar Stunden am Tag. „Es ist Zeit, dass wir uns selbst umunsereSt­adt, unser Land kümmern. Um Manbidsch und um Syrien.“

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Ein Soldat der SDF-Miliz in seiner Stellung am Euphrat – Ausblick auf die Aufteilung Syriens
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Parfum-Händler: „Großer Sultan“war früher, jetzt ist „Hawaii“gefragt
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