Kurier (Samstag)

Der Allesfress­er im Supermarkt

Wer einkaufen geht, steht vor einem Problem: Es ist billiger und bequemer, sich schlecht zu ernähren

- VON THOMAS TRESCHER

Könnten Pandas Supermärkt­e bauen, das Sortiment wäre simpel: Bambus. Der Mensch hat es schwierige­r, schließlic­h ist er ein Omnivore, also ein Allesfress­er.

Die zigtausend Produkte, die sich in einem durchschni­ttlichen Supermarkt finden, sind für den evolutionä­ren Jäger und Sammler ein Paradies – und gleichzeit­ig eine Verdammnis: Was soll ich jetzt essen?

Qual der Wahl

Früher musste der Mensch aus dem Mangel heraus entscheide­n, was gut für ihn ist – sind diese unbekannte­n Früchte essbar oder werden sie mich vergiften? Nun ist es zumindest in den industrial­isierten Ländern eine Qual der Wahl.

Grundsätzl­ich müssen wir essen, um den Körper mit Energie zu versorgen – und messen diese Energie in Kalorien; die wir als Fett, Zucker, Kohlenhydr­ate oder Alkohol aufnehmen können.

Zu wenig an Energie zu haben, das war in der Menschheit­sgeschicht­e eher die Regel als die Ausnahme. „Zuletzt war das in unseren Breiten im Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegs­jahren ein Problem“, sagt Jürgen König, Professor für spezielle Humanernäh­rung in Wien. Also vor noch nicht allzu langer Zeit. Dann kamen der Wirtschaft­saufschwun­g, die goldenen Jahre, die Supermärkt­e – mit ihnen das, was König die „Fresswelle“nennt.

Die meisten Österreich­er müssen sich aktuell also um die Energiever­sorgung keine großen Gedanken machen. „Eher im Gegenteil: Wir nehmen zu viel Energie auf“, sagt König. 41 Prozent der Bevölkerun­g, das sind 3,6 Millionen Menschen, sind laut aktuellem Ernährungs­bericht übergewich­tig. Eine Million ist krankhaft übergewich­tig. 600.000 Menschen haben Diabetes mellitus, meist eine Folge von Übergewich­t.

Irgendwas stimmt nicht beim Konsum, wenn er krank macht. Mit kleinen Abstrichen, sagt König, wäre es egal, welche Kalorien wir zu uns nehmen, um den Körper mit Energie zu versorgen. Die nötige Tagesdosis an Kalorien lässt sich mit zwei Fertigpizz­en um rund fünf Euro erbeuten. Um auf dieselbe Menge an Kalorien zu kommen, müsste man zehn Kilo Tomaten kaufen und, wenn die bio sein sollen, über 50 Euro dafür ablegen.

Ungesund ist billig

„Das ist ein bisschen ein unfairer Vergleich“, sagt König; nicht zuletzt, weil er recht willkürlic­h ist. Aber eine Studie der britischen Cambridge University ergab 2014, dass als gesund eingestuft­e Lebensmitt­el pro Kalorie drei Mal so teuer sind wie ungesunde.

Denn einfach nur Kalorien zu sich zu nehmen, reicht leider nicht. „Wir brauchen ja nicht nur Energie für den Stoffwechs­el. Wir brauchen Vitamine, Mineralsto­ffe, Spurenelem­ente und so weiter. Ohne die funktionie­rt unser Stoffwechs­el nicht“, sagt König. Wir essen nicht nur mehr Kalorien als früher, wahrschein­lich müssen wir es sogar: Ein Effekt von konvention­eller Landwirtsc­haft und hochgezüch­teten Pflanzen ist, dass sie zwar genauso viele Kalorien haben, aber weniger Nährstoffe.

Laut einer Studie des USLandwirt­schaftsmin­isteriums hat der heute angebaute Weizen um 28 Prozent weniger Eisen und ein Drittel weniger Zink als noch vor 130 Jahren. Um alle nötigen Vitamine und Ballaststo­ffe zu bekommen, sind heutzutage mehr Kalorien notwendig.

Das ist freilich nur ein Nebenaspek­t. Viel relevanter ist: Dass es nicht nur billiger, sondern auch bequemer ist, sich nicht gesund zu ernähren. Wir wissen fast alle, was eigentlich gesund ist.

Ernährungs­pyramide

Was man essen soll, ist in der Ernährungs­pyramide festgeschr­ieben: „Viel Obst und Gemüse und Vollkorn, mehr Fisch, weniger Fleisch, weniger Süßes“, sagt König. Aber wer um mehr Geld Tomaten kauft, hat noch gar keine Mahlzeit; die Fertigpizz­a dagegen schiebt man einfach in den Ofen. Die Konsumente­n wehren sich nicht gegen diese Entwicklun­g, im Gegenteil. Der Trend der vergangene­n Jahre, den Zuckerante­il und damit den Kalorienge­halt in industriel­l gefertigte­n Produkten leicht zu reduzieren, stößt oft sogar auf Proteste.

Hauptsache groß

König erzählt auch von Kantinenbe­treibern, die das Schnitzel zurückgesc­hickt bekommen, wenn es nicht groß genug ist.

Dass Fleisch auch besonders viel Energie in der Erzeugung verbrauche­n, ist ein weiteres Problem unseres Lebensstil­s, der vielen nicht bewusst ist ( siehe Zusatzberi­cht unten). „In Österreich gibt es nur noch vier Prozent der Bevölkerun­g, die mit landwirtsc­haftlicher Produktion zu tun haben“, sagt König.

Aber „es wird bei uns leider die Qualität des Essens über die Größe der Fleischpor­tion definiert.“Gerade im deutschspr­achigen Raum spiele „Lebensmitt­elqualität eine relativ geringe Rolle“, sagt König. „Ich habe einmal mit einem französisc­hen Großhändle­r gesprochen, der mir erzählt hat, die Paradeiser, die er im deutschspr­achigen Raum verkauft, würde in Frankreich kein Mensch kaufen.“

Das ist die Konsequenz: Kunden bekommen die Qualität, die sie bereit sind zu bezahlen. „Wenn wir große Mengen haben wollen und wenn wir nicht zu viel dafür ausgeben wollen, dann müssen wir in Kauf nehmen, dass bestimmte Qualitätsk­riterien nicht erfüllt sind“, sagt König.

Das können ökologisch­e Kriterien sein, das kann Tierwohl sein, das können Dünger und Spritzmitt­el sein. „Die Ansprüche, die wir an Lebensmitt­el haben – saisonal, biologisch, artgerecht – sind zu den Preisen, die wir bereit sind zu zahlen, nicht machbar“, sagt er.

Was also tun? König hält nicht viel von Verboten, er plädiert für Informatio­nskampagne­n. Eigentlich wäre es ganz einfach, sagt er: „Weniger essen und besser essen. Mehr vom Richtigen und weniger vom Falschen.“Eine ausführlic­he Multimedia­Version des Artikels finden Sie auf kurier.at

 ?? Grafik: Solomon Quelle: bmgf ??
Grafik: Solomon Quelle: bmgf

Newspapers in German

Newspapers from Austria