Der Allesfresser im Supermarkt
Wer einkaufen geht, steht vor einem Problem: Es ist billiger und bequemer, sich schlecht zu ernähren
Könnten Pandas Supermärkte bauen, das Sortiment wäre simpel: Bambus. Der Mensch hat es schwieriger, schließlich ist er ein Omnivore, also ein Allesfresser.
Die zigtausend Produkte, die sich in einem durchschnittlichen Supermarkt finden, sind für den evolutionären Jäger und Sammler ein Paradies – und gleichzeitig eine Verdammnis: Was soll ich jetzt essen?
Qual der Wahl
Früher musste der Mensch aus dem Mangel heraus entscheiden, was gut für ihn ist – sind diese unbekannten Früchte essbar oder werden sie mich vergiften? Nun ist es zumindest in den industrialisierten Ländern eine Qual der Wahl.
Grundsätzlich müssen wir essen, um den Körper mit Energie zu versorgen – und messen diese Energie in Kalorien; die wir als Fett, Zucker, Kohlenhydrate oder Alkohol aufnehmen können.
Zu wenig an Energie zu haben, das war in der Menschheitsgeschichte eher die Regel als die Ausnahme. „Zuletzt war das in unseren Breiten im Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahren ein Problem“, sagt Jürgen König, Professor für spezielle Humanernährung in Wien. Also vor noch nicht allzu langer Zeit. Dann kamen der Wirtschaftsaufschwung, die goldenen Jahre, die Supermärkte – mit ihnen das, was König die „Fresswelle“nennt.
Die meisten Österreicher müssen sich aktuell also um die Energieversorgung keine großen Gedanken machen. „Eher im Gegenteil: Wir nehmen zu viel Energie auf“, sagt König. 41 Prozent der Bevölkerung, das sind 3,6 Millionen Menschen, sind laut aktuellem Ernährungsbericht übergewichtig. Eine Million ist krankhaft übergewichtig. 600.000 Menschen haben Diabetes mellitus, meist eine Folge von Übergewicht.
Irgendwas stimmt nicht beim Konsum, wenn er krank macht. Mit kleinen Abstrichen, sagt König, wäre es egal, welche Kalorien wir zu uns nehmen, um den Körper mit Energie zu versorgen. Die nötige Tagesdosis an Kalorien lässt sich mit zwei Fertigpizzen um rund fünf Euro erbeuten. Um auf dieselbe Menge an Kalorien zu kommen, müsste man zehn Kilo Tomaten kaufen und, wenn die bio sein sollen, über 50 Euro dafür ablegen.
Ungesund ist billig
„Das ist ein bisschen ein unfairer Vergleich“, sagt König; nicht zuletzt, weil er recht willkürlich ist. Aber eine Studie der britischen Cambridge University ergab 2014, dass als gesund eingestufte Lebensmittel pro Kalorie drei Mal so teuer sind wie ungesunde.
Denn einfach nur Kalorien zu sich zu nehmen, reicht leider nicht. „Wir brauchen ja nicht nur Energie für den Stoffwechsel. Wir brauchen Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und so weiter. Ohne die funktioniert unser Stoffwechsel nicht“, sagt König. Wir essen nicht nur mehr Kalorien als früher, wahrscheinlich müssen wir es sogar: Ein Effekt von konventioneller Landwirtschaft und hochgezüchteten Pflanzen ist, dass sie zwar genauso viele Kalorien haben, aber weniger Nährstoffe.
Laut einer Studie des USLandwirtschaftsministeriums hat der heute angebaute Weizen um 28 Prozent weniger Eisen und ein Drittel weniger Zink als noch vor 130 Jahren. Um alle nötigen Vitamine und Ballaststoffe zu bekommen, sind heutzutage mehr Kalorien notwendig.
Das ist freilich nur ein Nebenaspekt. Viel relevanter ist: Dass es nicht nur billiger, sondern auch bequemer ist, sich nicht gesund zu ernähren. Wir wissen fast alle, was eigentlich gesund ist.
Ernährungspyramide
Was man essen soll, ist in der Ernährungspyramide festgeschrieben: „Viel Obst und Gemüse und Vollkorn, mehr Fisch, weniger Fleisch, weniger Süßes“, sagt König. Aber wer um mehr Geld Tomaten kauft, hat noch gar keine Mahlzeit; die Fertigpizza dagegen schiebt man einfach in den Ofen. Die Konsumenten wehren sich nicht gegen diese Entwicklung, im Gegenteil. Der Trend der vergangenen Jahre, den Zuckeranteil und damit den Kaloriengehalt in industriell gefertigten Produkten leicht zu reduzieren, stößt oft sogar auf Proteste.
Hauptsache groß
König erzählt auch von Kantinenbetreibern, die das Schnitzel zurückgeschickt bekommen, wenn es nicht groß genug ist.
Dass Fleisch auch besonders viel Energie in der Erzeugung verbrauchen, ist ein weiteres Problem unseres Lebensstils, der vielen nicht bewusst ist ( siehe Zusatzbericht unten). „In Österreich gibt es nur noch vier Prozent der Bevölkerung, die mit landwirtschaftlicher Produktion zu tun haben“, sagt König.
Aber „es wird bei uns leider die Qualität des Essens über die Größe der Fleischportion definiert.“Gerade im deutschsprachigen Raum spiele „Lebensmittelqualität eine relativ geringe Rolle“, sagt König. „Ich habe einmal mit einem französischen Großhändler gesprochen, der mir erzählt hat, die Paradeiser, die er im deutschsprachigen Raum verkauft, würde in Frankreich kein Mensch kaufen.“
Das ist die Konsequenz: Kunden bekommen die Qualität, die sie bereit sind zu bezahlen. „Wenn wir große Mengen haben wollen und wenn wir nicht zu viel dafür ausgeben wollen, dann müssen wir in Kauf nehmen, dass bestimmte Qualitätskriterien nicht erfüllt sind“, sagt König.
Das können ökologische Kriterien sein, das kann Tierwohl sein, das können Dünger und Spritzmittel sein. „Die Ansprüche, die wir an Lebensmittel haben – saisonal, biologisch, artgerecht – sind zu den Preisen, die wir bereit sind zu zahlen, nicht machbar“, sagt er.
Was also tun? König hält nicht viel von Verboten, er plädiert für Informationskampagnen. Eigentlich wäre es ganz einfach, sagt er: „Weniger essen und besser essen. Mehr vom Richtigen und weniger vom Falschen.“Eine ausführliche MultimediaVersion des Artikels finden Sie auf kurier.at