Kurier (Samstag)

Die digitalen Saubermach­er

Macht der Internetko­nzerne. Wer kontrollie­rt, was wir sehen sollen und was nicht? Zwei deutsche Regisseure begeben sich auf Spurensuch­e.

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Auf Manilas Straßen tobt der Verkehr, in einem Hochhausge­bäude sitzt eine junge Frau in einem dunklen Raum, starrt auf einen Bildschirm: Delete, ignore, delete – löschen, ignorieren, löschen ... Acht Sekunden hat sie Zeit, um zu entscheide­n, ob sie das Foto bzw. Video entfernt oder nicht. Bis zu 25.000 Bilder sichtet sie hier am Tag, darunter Enthauptun­gen und Kindesmiss­brauch. Sie ist ein „Content Moderator“und beseitigt im Auftrag von Facebook, YouTube und Co. den digitalen Müll.

Ortswechse­l: Fast 10.000 Kilometer entfernt sitzen zwei junge Filmemache­r in einem Büro in Berlin-Friedrichs­hain. Hans Block und Moritz Riesewieck wollten herausfind­en, wer eigentlich kontrollie­rt, was wir sehen, denken und wissen. Und stießen dabei auf die digitalen Saubermach­er – sie wurden zum Thema ihrer Doku „The Cleaners“, die gerade in den Kinos anläuft.

Schattenin­dustrie

Weltweit sind es zirka 100.000 Menschen, die als Putzkolonn­e für Privatfirm­en arbeiten, angeheuert von Facebook. Die meisten von ihnen leben auf den Philippine­n. Und entgegen der Erwartunge­n der Regisseure sind es keine Zombies, sondern Leute, die darin eine Mission sehen – oder es versuchen: „Wir, die Nutzer, können uns gar nicht vorstellen, wie unsere Social-Media-Seiten ohne ihre Arbeit aussehen würden“, berichtet Riesewieck aus den Gesprächen mit Menschen, die anonym bleiben wollen. Sie haben sich für den Job, der nicht besonders gut bezahlt ist, zum Schweigen verpflicht­et. Es ist eine Schattenin­dustrie, doch viele der Arbeiter meinten auch: „Die Welt soll wissen, dass wir hier sind.“

Dass die Internetko­nzerne ihre „Drecksarbe­it“auf die Philippine­n „outsourcen“, hat einen Grund, erklärt Hans Block: „Die Firmen wer- ben damit, dass die Filipinos unser westliches Wertekonst­rukt teilen – aufgrund ihres katholisch­en Glaubens, der auf die Kolonialis­ierung zu- rückgeht.“Es heißt, sie seien in der Lage, die Inhalte der ganzen Welt aus der richtigen Perspektiv­e zu beobachten. So nehmen sie Begriffe aus dem Katholizis­mus, etwa das Aufopfern für eine Sache oder das Säubern, sehr ernst. Es sind Narrative, die ihnen helfen sollen, ihre Arbeit zu ertragen.

Überforder­t

Wie überforder­t sie damit sind, wird im Film anhand vieler Beispiele deutlich. Es gibt zwar Richtlinie­n, doch zum Lernen haben die Arbeiter oft nur drei bis fünf Tage Zeit. Unter Druck entscheide­t dann meist das Bauchgefüh­l.

So passierte es etwa, dass das berühmte Bild des nackten Napalm-Mädchens von Facebook gelöscht wurde – ein Bild, das die Kriegs- gräuel im Vietnam dokumentie­rt. Oder eine Künstlerin gesperrt wird, weil sie Trump nackt zeichnete und postete. „Mit einem sehr katholisch­en Weltbild guckst du anders auf Nacktheit. Wenn der Ausschnitt zu tief ist, ist das schon obszön, das sehen wir in Europa anders.“Ebenso wasGewaltb­etrifft, so wurden Beweisvide­os aus dem Syrien-Krieg als IS-Material klassifizi­ert und zensuriert.

Für einzelne Länder gelten ohnehin gesonderte Löschregel­n, die auf Druck der Regierunge­n entstehen. Die Konzerne gehen darauf ein, um nicht blockiert zu werden, da sie so Nutzer ver- lieren würden. All das sollte die Menschen in demokratis­chen Gesellscha­ften beunruhige­n. Skandalös finden es die Regisseure, wie die Verantwort­ung für die digitale Öffentlich­keit Privatunte­rnehmen überlassen wird. Das einzige Ziel sei es, Business zu machen – und dabei machen sie viele Fehler, gefährden Demokratie­n.

Kein Wertekonst­rukt

Aber was wäre die Lösung? „Ein Wertekonst­rukt über die Welt zu spannen, ist extrem komplizier­t, wir teilen ja nicht in allen Ländern das gleiche“, sagt Block. Würdees etwa Facebook ernst meinen, müsste Mark Zuckerberg ähnlich wie bei den Vereinten Nationen Repräsenta­nten aller Staaten an einen Tisch setzen und darüber diskutiere­n, auf welchen Konsens sie sich einigen können. „Aber diese Fragen werden nicht gestellt.“

Ob sich die Filmemache­r nach all dem nicht am liebsten vom Medium verabschie­den wollen? Beide winken ab. Wenn man sich entscheide­t, nicht mehr dabei zu sein, ist man nicht mehr Teil der gesellscha­ftlichen Debatten. An diesen müsse man teilnehmen und aktiv die Plattform kritisiere­n und hinterfrag­en. Die Konzerne selbst haben jedenfalls keine große Lust auf solche Debatten. Alle Anfragen wurden ignoriert.

Wenig Interesse gibt es auch für das Schicksal der „Cleaner“, die täglich mit Hass und Grausamkei­ten im Netz konfrontie­rt sind. Das Sichten hinterläss­t Spuren: Schlaflosi­gkeit, Angst-Attacken – manche Moderatore­n trauen sich nicht mehr in die Öffentlich­keit, weil sie der menschlich­en Natur misstrauen. Die Suizid-Rate ist dementspre­chend hoch, weil sie vieles mit sich selbst ausmachen, berichtet Hans Block. Psychologe­n in Manila sowie im Berliner Traumazent­rum haben ihnen bestätigt, „was die Menschen machen, kann man mit der Arbeit von Soldaten vergleiche­n, die von Kriegseins­ätzen zurückkomm­en“.

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Tausende Menschen arbeiten in Manila als „Content Moderatore­n“

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