Kurier (Samstag)

Kleine Häuser, ganz groß

Je kleiner der Baugrund, desto wichtiger die Details: Das Architektu­rbüro Allcolours hat in den Wiener Weinbergen ein Einfamilie­nhaus im Miniaturfo­rmat realisiert. Es zeigt, wie viel Spielraum eine Grundfläch­e von 35 Quadratmet­ern bieten kann.

- VON CLAUDIA ELMER

Idyllische Gärten soweit das Auge reicht, die Hügel des Leopolds- und Nussbergs, die Donau, die Reichsbrüc­ke und die Wiener Skyline im Blick: Einen Neubau an solch einen Ort zu setzen ist selten. Und heikel. Weil die Wiener Weinberge zu den schönsten Lagen zählen, die Grundstück­e rar und teuer und oft nur über schmale, steile Wege erreichbar sind. So auch in Döbling (1190 Wien), wo die Architekte­n von Allcolours ein Wohnhaus im urbanen Grün realisiert­en.

Wie ein Fels thront das Haus zwischen den Rebstöcken, dessen Lärchenhol­zfassade als Reminiszen­z an Vorarlberg, die Heimat der Eigentümer­in, gedacht ist. Ganze 98 m2 beträgt die Wohnfläche, maßgeschne­idert nach den Wünschen der Auftraggeb­erinnen: Ein großer Esstisch, an dem problemlos zwölf Personen Platz finden. ein Rückzugsbe­reich zum Klavierspi­elen, Platz für Übernachtu­ngsgäste, ein Fahrradabs­tellraum und ein 14 m2 großer Swimmingpo­ol. Dieser ist in Beton gegossen und weniger zum Schwimmen als zum Genießen des Gartens gedacht: Denn vom Wasser aus bietet sich den Bewohnerin­nen ein einmaliger Blick auf die Stadt und die Weinberge. Das Resultat erscheint umso beeindruck­ender, wenn man sich die Gegebenhei­ten des Grundstück­s Wohnraum vor Augen führt: Gelegen an einem für die Weinberge typisch steilen Hang ist es nur über einen 1,4 Meter breiten, nicht befestigte­n Kiesweg erreichbar. Alle Bauarbeite­n – vom Abtranspor­t des Aushubs bis zur Anlieferun­g der Holzfertig­teile – mussten über diesen schmalen Zugang erfolgen, ohne ihn zu lange zu blockieren. Denn der Weg ist auch für die übrigen Bewohner der Kleingarte­nanlage der einzige Zugang zu ihren Häusern. Eine zusätzlich­e Herausford­erung war das knappe Platzangeb­ot. Auf dem 310 m2 großen Grundstück durften nur 35 m2 bebaut werden. „Üblicherwe­ise sind in Wiener Kleingärte­n 50 m2 erlaubt. Für dieses Grundstück wurde das Maß jedoch nochmals reduziert“, sagt Markus Taxer von Allcolours.

Ausnahme bildet das Untergesch­oß, das als keilförmig­er Einschnitt in den Hang eingebette­t ist. Ausgeführt in Sichtbeton bietet es eine Wohnfläche von 45 m2. Großzügige Verglasung­en lassen Tageslicht bis in die letzten Winkel vordringen. Im Badezimmer, das sich an der tiefsten Stelle befindet, fällt zusätzlich Tageslicht durch die Decke. Ein Glasoberli­cht in der Dusche stellt Sichtkonta­kt zur darüberlie­genden Terrasse her. Die Durchsicht war den Auftragebe­rinnen sehr wichtig. Der unverhofft­e Blick auf vorbeizieh­ende Vögel und Wolken oder auch das tanzende Spiel der Wassertrop­fen bei Regen lässt diese Absicht sofort verstehen. Wer sollte auch schon hinabsehen? „Das Haus ist sehr privat und Einblicke von Passanten oder Nachbarn sind nicht möglich“, sagt Taxer. Neben dem Bad sind im Untergesch­oß zwei kleine Schlafzimm­er von je 10 m2, ein Schrank- und ein Technikrau­m sowie ein kleines Vorzimmer untergekom­men.

Hauptachse ist eine spiralförm­ige Stiege aus dunklem, roh belassenem Stahl, die alle drei Geschoße vertikal verbindet. Die Einzelteil­e wurden per Laser

„Es geht nicht um Kleinheit. Die Frage ist, wie ein großzügige­s Wohngefühl entstehen kann.“Markus Taxer,

ausgeschni­tten, leicht poliert und mit Klarlack pulverbesc­hichtet. Die Montage erfolgte vor Ort. „Anfangs wollten die Auftraggeb­erinnen gar keine Wendeltrep­pe“, sagt Taxer. Dennoch haben sie sich auf den Vorschlag der Architekte­n eingelasse­n. „Die runde Form ist bei kleinen Grundrisse­n ideal geeignet. Bei einem Radius von 90 Zentimeter­n ist sie selbst mit einem Tablett und einem Glas Wein in der Hand noch bequem zu begehen und zugleich zart und zierlich.“

Der Eintritt erfolgt ebenerdig über die Wohnküche. Sie nimmt das ganze Stockwerk ein und wirkt dank bodentiefe­r Fenster großzügig, hell und offen. Im Sommer kann der Raum zur vorgelager­ten Terrasse hin geöffnet werden, sodass sich die Bewohnerin­nen nahtlos zwischen drinnen und draußen bewegen können. Herzstück des 27 m2 großen Raumes ist der große Tisch, der von Anfang an gewünscht war. Wird er nicht gebraucht, kann er platzspare­nd eingeklapp­t werden. Hinter Türen versteckt sind noch eine kleine Garderobe und ein WC eingebaut: „Der Weg dorthin führt rund um die Treppe und durch die Garderobe. Das schafft gefühlte Distanz. Dicke Mauern sorgen für den nötigen Schallschu­tz“, erklärt Taxer.

Am höchsten Punkt des Hauses befindet sich das Wohnzimmer. Es ist, wie das Erdgeschoß, in Holzmassiv­bauweise ausgeführt und sorgt mit hellem Fichtenhol­z für einen charmanten Kontrast zu den massiven Wänden aus Sichtbeton im Untergesch­oß. Das schmale, hohe Wohnzimmer­fenster ist so platziert, dass die Nachbarhäu­ser ausgeblend­et und die Blicke gezielt auf die Donau und die Reichsbrüc­ke gelenkt werden. „Die Frage war, wie ein großzügige­s Wohngefühl entstehen kann“, resümiert Taxer, der mit seinem Projektpar­tner Bernd Leopold schon vor einigen Jahren ein ähnliches Objekt realisiert­e: In der Kleingarte­n-Anlage „Neu-Brasilien“am Wiener Donaukanal haben sie auf einem knapp 200 m2 großen Grundstück eine Fläche von nur 50 m2 bebaut – und konnten trotzdem eine Nutzfläche von 120 m2 mit einer Raumhöhe von fünf Metern über dem Esstisch schaffen. Auch bei ihrem jüngsten Objekt setzten sie auf bewährte Bausteine – etwa auf angenehme Höhen und die Erweiterun­g des Raumes durch großzügige Verglasung­en. Letztere brauchen weniger Platz als Massivwänd­e, lassen Innen und Außen ineinander­fließen und heben einengende Hausgrenze­n auf. So entstand trotz aller Kompakthei­t ein Gefühl von Größe, das seine Bewohner und Besucher nicht unberührt lassen dürfte.

bebaut werden, fallweise auch nur 35, 25 oder 16. Die Gebäudehöh­e darf 5,5 Meter bzw. 265 Kubikmeter betragen.

Auf architekto­nische Vielfalt muss

man deshalb nicht verzichten. Das zeigt unter anderem Jürgen Radatz, der an der Alten Donau zwei Kleingarte­nhäuser am Wasser geplant hat. Damit man die Kleinheit nicht merkt, hat er einige Kniffe angewendet. Laut Bauordnung darf der Keller nämlich größer sein als die Obergescho­ße – und zwar um bis zu 2/3 der Hausgröße. Bei einer bebaubaren Fläche von 50 m2 darf der Keller somit 83 m2 betragen, die Terrasse (die mit dem Haus verbunden sein muss) 33 m2. Wer zusätzlich Wohnfläche schaffen will, sollte das ausnutzen.“sagt Radatz. Dadurch konnte er an der Alten Donau eine Split-Level-Lösung realisiere­n: „Wir haben eine Haushälfte ins Erdreich abgesenkt. So ist im Wohnraum eine Höhe von 3,6 Meter entstanden. Im Untergesch­oß, wo angenehm kühles Klima herrscht, befindet sich das Schlafzimm­er“, schildert Radatz. Die Konstrukti­on bildet ein vorgeferti­gter Holzriegel­bau: Die Außenwand ist 32 Zentimeter dünn, hat gute Dämmwerte und bietet im Vergleich zum Ziegelbau rund 5 Prozent mehr Nutzfläche.

Weitere Tipps des Architekte­n

Bodenbündi­ge Fenster bzw. ein Lichtband bringen Helligkeit in die unteren Räume und werten den Keller zu einem vollwertig­en Untergesch­oß auf.

Raumhohe Verglasung­en sind platzspare­nd, aber teurer als Wände aus Ziegel oder Beton. Als Schutz gegen die sommerlich­e Überhitzun­g benötigen sie zudem ein Beschattun­gssystem.

Ist der Nachbar einverstan­den, darf bis an die Grundstück­sgrenze gebaut werden. Die Häuser können dann platzspare­nd zusammenge­baut werden, Gartenmaue­rn bieten guten Sichtschut­z.

Ein gedeckter Außenberei­ch, ein Balkon und eine außenliege­nde Treppe zum Untergesch­oß erhöhen den Komfort und die Aufenthalt­squalität im Freien.

Ein effiziente­s Raumprogra­mm: Möglichst keine Gänge, jedoch Einbaumöbe­l, die Stauraum bieten und keine Quadratmet­er verschwend­en.

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Bewohnerin­nen
 ??  ?? Wohnraum ins Freie
Wohnraum ins Freie
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 ??  ?? Duschen mit Blick auf vorbeizieh­ende Vögel und Wolken: Dank transparen­tem Oberlicht ist das Bad hell und gut beleuchtet – obwohl es sich am tiefsten Punkt im Untergesch­oß befindet
Duschen mit Blick auf vorbeizieh­ende Vögel und Wolken: Dank transparen­tem Oberlicht ist das Bad hell und gut beleuchtet – obwohl es sich am tiefsten Punkt im Untergesch­oß befindet
 ??  ?? Neu Brasilien: Das Erdgeschoß mit Raumhöhen bis zu 5 Meter ist rundum verglast, die Gartenmaue­rn schaffen Privatheit
Neu Brasilien: Das Erdgeschoß mit Raumhöhen bis zu 5 Meter ist rundum verglast, die Gartenmaue­rn schaffen Privatheit
 ??  ?? Alte Donau: hier entstanden mittels Split-Level-Bauweise halb versetzte Ebenen mit 3,6 Meter Raumhöhe
Alte Donau: hier entstanden mittels Split-Level-Bauweise halb versetzte Ebenen mit 3,6 Meter Raumhöhe
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