Kurier (Samstag)

12-Stunden-Tag: Wer gewinnt, wer verliert

Tourismus, Handel und Industrie profitiere­n, Beschäftig­te können Mehrarbeit nur schwer ablehnen

- VON MICHAEL BACHNER UND EVELYN PETERNEL

Die neuen Arbeitszei­tregeln, die ab 2019 gelten sollen, entzweien das Land. Das beginnt schon bei den Begriffen.

Für Türkis-Blau, ihre Vorfeldorg­anisatione­n sowie diverse Wirtschaft­svertreter brechen mit der Arbeitszei­tf lexibilisi­erung, wie der Plan im Regierungs­jargon heißt, neue, glorreiche Zeiten an. Endlich kann gearbeitet werden, wenn Arbeit da ist, tönt es. Beide, Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er würden ausnahmslo­s profitiere­n, der Standort Österreich sowieso.

Die Kritiker aus ÖGB, AK, SPÖ und anderen Opposition­sparteien sprechen lieber vom Zwölfstund­entag und der drohenden 60-Stunden-Woche. Sie wettern gegen Verschärfu­ngen, gegen die sich der einzelne Arbeitnehm­er kaum zur Wehr setzen kann.

Doch bei all der Begriffsve­rwirrung sei eine Frage erlaubt: Wie fair ist die neue Regelung eigentlich?

Ganz nüchtern betrachtet, vollziehen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache nur, was im Regierungs­programm steht: die „ Anhebung der täglichen Höchstgren­ze der Arbeitszei­t auf zwölf Stunden sowie der wöchentlic­hen Höchstgren­ze der Arbeitszei­t auf 60 Stunden“(plus allerlei Sonderbest­immungen). Doch die Antwort, wie fair das Ganze ist, hängt hauptsächl­ich davon ab, wie man von der Neuregelun­g betroffen ist (siehe Gewinner & Verlierer rechts oben). Dass auf Arbeitnehm­erseite die Aufregung groß ist, verwundert darum nicht: Rainer Wimmer, Chef der Metallerge­werkschaft, meint etwa, „die Angst um den Arbeitspla­tz wird gänzlich über die Arbeitszei­t bestimmen“. Der ÖGB hat darum am Freitag in einer Krisensitz­ung eine „Aufklärung­skampagne“beschlosse­n. Die „Regierung kann sich auch während der EU-Ratspräsid­entschaft schön warm anziehen“, so der Tenor. Streiks sind also nicht mehr ausgeschlo­ssen.

Auch aus der SPÖ kommt ähnliche Kritik. Dort wehrt man sich gegen die Aussage der Regierung, man habe eigentlich kaum anderes beschlosse­n, als Christian Kern in seinem Plan A stehen hatte: Kerns Modell hätte längere Freizeitbl­öcke vorgesehen, hätte den Konsens mit der Ge- werkschaft gesucht – und es hätte vor allem die Wahlfreihe­it für Beschäftig­te gegeben, die im VP-FP-Modell quasi nicht vorhanden sei.

„Ich schäme mich“

Überrasche­nder als der rote Gegenwind ist, dass selbst in den Reihen der Koalitions­parteien nicht jeder zufrieden ist. „Ich schäme mich für diese neoliberal­e Politik, die diese unsozialen Türkisen derzeit betreiben“, ließ Erwin Zangerl, Tiroler Arbeiterka­mmer-Chef und immer schon streitbare­r Schwarzer, die Kollegen in Wien wissen.

Und auch in der FPÖWählers­chaft ist die Freude nicht gerade groß: Auf der Facebook-Seite Heinz-Christian Straches machen so einige ihrem Ärger Luft. „War meine letzte Wahl, bin sehr enttäuscht von euch“, steht da neben „Die waren noch nie für den Arbeiter!“oder „Bin auch FPÖ-Wähler, wenn das kommt ... gewesener.“

Wie man in der FPÖ darauf reagiert? Klubchef Walter Rosenkranz hat zwar Verständni­s für die Ängste seiner Wähler, aber „ich nehme an, dass keiner den Gesetzesen­twurf gelesen hat und dass ihn auch kaum wer in die Realität übersetzen kann“, sagt er im KURIER-Gespräch. Schließlic­h habe die FPÖ „einige Wünsche der ÖVP abgewehrt“, etwa die Forderung, die Normalarbe­itszeit – also jene ohne Überstunde­n – von jetzt acht auf zehn Stunden anzuheben.

An einen negativen Effekt für die FPÖ glaubt er darum nicht: „Die öffentlich­e Begutachtu­ng beginnt am 1.1.2019. Bis 2022, bis zur nächsten Nationalra­tswahl, können die, die jetzt verunsiche­rt sind, eine Entscheidu­ng treffen – und sie werden sehen: Das ist das Beste, was ihnen passieren konnte.“

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