Yoshua Bengio
Künstliche Intelligenz. Der Wissenschaftler Yoshua Bengio spricht über potenzielle Gefahren für die Gesellschaft
Der kanadische Forscher Yoshua Bengio von der Universität Montreal hat mit seinen Arbeiten zu neuronalen Netzwerken und Deep Learning den Grundstein gelegt für die Systeme, die Google, Facebook und Co heute als „künstliche Intelligenz“(KI) bezeichnen. Der KURIER hat bei einem Besuch in Montreal, auf Einladung der kanadischen Regierung, in einer Journalistenrunde mit Bengio gesprochen. Wie sehen Sie die europäischen KI-Bemühungen? Yoshua Bengio: Ich freue mich, dass Europa jetzt auch auf KI setzt. Es ist wichtig, dass sich die Entwicklung nicht nur an einem oder zwei Orten konzentriert. Kanada und Europa fühlen sich in vielen Belangen den gleichen Werten verpflichtet. Wenn mehr Länder beteiligt sind, werden fairere Rahmenbedingungen entstehen. Welche Rolle spielen gemeinsame Werte bei der Entwicklung von KI?
KI ist nicht bloß eine weitere neue Technologie. Sie wird großen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von ethischen und sozialen Fragen. Werden diese nicht beantwortet, wird die Öffentlichkeit KI als Bedrohung für das Gemeinwohl sehen und die Technologie ablehnen. Regierungen müssen sich also um diese Fragen kümmern, aus moralischen und praktischen Überlegungen. Was ist Ihr persönliches KI-Horrorszenario?
Der Einsatz von KI für mi- litärische Zwecke oder im Sicherheitsapparat bereitet mir Sorgen. Sie kennen die Killerroboterszenarien oder Systeme, die Menschen anhand ihrer Gesichter identifizieren können. Wenn wir nicht vorsichtig sind, droht uns ein Big-Brother-Szenario. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind ebenfalls besorgniserregend. KI beschleunigt die Automatisierung und könnte die Verteilungsungerechtigkeit verstärken, zwischen Menschen, Ländern und Firmen. Können wir das durch Regulierung noch verhindern?
Es ist wie beim Klimawandel: Es ist nie zu spät. Wir bauen in Montreal eine Organisation auf, die sich um die sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Fragen kümmert. Forscher und Wissenschaftler müssen sich das durchdenken, unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Wenn es Bereiche geben soll, in denen KI nicht eingesetzt werden darf, dann geht das nur auf internationaler Ebe- ne. Das gilt auch für die Regulierung multinationaler Konzerne in dem Bereich. Man darf dabei nicht vergessen, dass KI-Systeme auch Leben retten können. Wir müssen uns also genau überlegen, wie wir die Regeln gestalten. Wie wird sich KI auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Die potenziellen Auswirkungen sind enorm. Das wird nicht über Nacht passieren, aber wahrscheinlich doch zu schnell für unsere Steuerungsinstrumente. Die Menschen werden es nicht bis zur Rente schaffen, ohne ersetzt zu werden. Welche Strategien gibt es für den Umgang damit?
Wir werden unsere Sozialsysteme neu denken müssen. In den meisten entwickelten Ländern gibt es heute soziale Sicherheitsnetze. Die wurden aber für ein bestimmtes Wirtschaftssystem maßgeschneidert. Sind bedingungslose Grundeinkommen eine Option?
Das ist eine der Möglichkeiten, die wir prüfen sollten. Wir müssen traditionelle Werte infrage stellen, etwa die Idee, dass man, wenn man nicht arbeitet, kein Geld bekommt. Wichtig ist, was am besten für die Gesellschaft ist – weltweit betrachtet. Sicher nötig ist eine Umstrukturierung des Erziehungssystems. Wir dürfen die Leute nicht überspezialisieren, sondern sollten ihnen beibringen, selbstständig zu denken und gute Bürger zu sein. Sie brauchen das Rüstzeug, um schnell selbstständig lernen zu können. Wo sind die nächsten Fortschritte im Bereich KI zu erwarten?
Es gibt immer Hindernisse auf dem Weg zu smarteren Maschinen. In der Forschung ist unbeaufsichtigtes Lernen ein großes Thema. Das funktioniert noch nicht sehr gut und es könnte Jahrzehnte dauern, bis wir Durchbrüche machen. Wenn ich das exponentielle Wachstum der KI-Forschung sehe, bin ich aber optimistisch. Neben den USA und Kanada investiert China in KI. Wer hat die Nase vorne?
Die Fortschritte kommen aus allen Teilen der Welt. China hat große Vorteile, vor allem, weil es so viele Einwohner und damit eine enorme Datenmenge hat. Zudem gibt es großen Enthusiasmus für KI in China. Eine Menge Studenten wollen in dieser Richtung arbeiten. Macht Ihnen das Sorgen?
Ja. Ich hoffe, dass die chinesische Führung versteht, dass es für alle wichtig ist, die Entwicklung verantwortungsvoll zu handhaben. Sonst könnte es zu sozialen Unruhen und Problemen kommen. Welche Rolle spielen Konzerne bei der KI-Entwicklung?
Es geht um sehr mächtige Technologien. Ist das gut für die Gesellschaft oder profitieren nur wenige Investoren? Es ist wichtig, diese Fragen zu stellen und die Suche nach Lösungen nicht den Märkten zu überlassen.