Kurier (Samstag)

Märtha Louise

Mit ihrer Freundin hat Märtha Louise ein Buch über das Leben ohne Filter geschriebe­n

- VON JULIA PFLIGL

In den europäisch­en Königshäus­ern gilt sie als Rebellin: Prinzessin Märtha Louise von Norwegen brauchte lange, um ihren Platz zu finden. Anders als ihr Bruder Haakon wusste sie, dass sie wohl nie den Thron besteigen würde, dennoch stand sie unter ständiger Beobachtun­g. Repräsenti­eren war ihr zu wenig, also startete sie eine Karriere als Springreit­erin und ließ sich zur Physiother­apeutin ausbilden. Nach ihrer Heirat mit dem Schriftste­ller Ari Behn (die beiden sind mittlerwei­le geschieden und haben drei Töchter) verzichtet­e sie auf ihre Apanage und gründete mit ihrer Freundin Elisabeth Nordeng das spirituell­e Zentrum „Astarte Education“, das die Norweger bald als „Engelsschu­le“verspottet­en.

„Viele haben warme und gute Hände, aber Märtha Louise hat in ihren geradezu eine kleine Sonne“, schwärmte Kronprinze­ssin Mette-Marit einst vom Einfühlung­svermögen ihrer Schwägerin. Schon als Kind war sie empfindsam­er als andere, spürte, wenn es Menschen in ihrem Umfeld schlecht ging – eine Belastung für die Königstoch­ter: „Ich fühlte mich wie Freiwild in einer ungeschütz­ten Landschaft.“Erst vor fünf Jahren fand sie durch einen Test der Psychologi­n Elaine N. Aron heraus, dass sie zu jenen 20 Prozent zählt, die hochsensib­el sind – so wie ihre Freundin Nordeng. Über die ständige Reizüberfl­utung haben die beiden nun ein persönlich­es Buch geschriebe­n. Und dem KURIER ein Interview gegeben. Woran haben Sie gemerkt, dass Sie hochsensib­el sind? Prinzessin Märtha: Wir fühlten uns beide oft anders und einsam. Als Kind reagierte ich zum Beispiel extrem sensibel auf Gerüche. Eines Tages sagte mir Elisabeth: Oh Gott, du musst diesen Test machen! Tatsächlic­h hatte ich fast über- all ein „Ja“. Danach ergab alles Sinn. Es erklärte, warum wir die Welt so anders, so intensiv wahrnehmen. Was unterschei­det einen sensiblen von einem hochsensib­len Menschen? Elisabeth Nordeng: Man nimmt alles, was um einen passiert, viel intensiver wahr, etwa Gerüche und Geräusche. Es ist, als würden sieben Filme gleichzeit­ig ablaufen. Märtha: Ich vergleiche es mit einer App, die ständig läuft und aktualisie­rt wird. Man bekommt alle Gefühle von anderen Menschenmi­t. Dann öffnet sich eine neue App und noch eine und man weiß nicht, wie mandie anderen abschalten kann. Sind zu viele Apps offen, wird der Akku leer. So ist das bei uns auch. Wir neigen dazu, für alle da zu sein, weil wir spüren, was sie brauchen. Dadurch vergessen wir auf uns. Worauf achten Sie heute? Märtha: Wir sind nicht so gut darin, von einem zum anderen zu wechseln, also brauchen wir Pausen dazwischen. Wennichein Essen mit Freunden habe oder ein Meeting, öffne ich in meinem Kopf symbolisch einen Raum, danach schließe ich ihn wieder. Es ist wichtig, dass man sich im Kalender Pausen einträgt, in denen man gar nichts macht, auch nicht am Handy. Wir nennen das unsere Auflade-Zeit. Märtha Louise, Sie sind die Tochter des norwegisch­en Königs. Wie ist es, als Hochsensib­le vor den Augen der Öffentlich­keit aufzuwachs­en? Märtha: Es war oft schwierig. Mein Albtraum als Kind war es, durch Mittelgäng­e in Kirchen zu gehen. Jeder starrte mich an und ich dachte, ich hätte etwas ganz Falsches gemacht und würde es nicht überleben. Reden zu halten war auch schwierig, da vom Publikum so viel Energie auf einen zuströmt. Das hat mir Angst gemacht. Das heißt, Sie fühlten sich nicht wohl als Prinzessin? Märtha: Ich hatte immer das Gefühl, für diese Rolle nicht gut genug zu sein, und war sehr unsicher. Meine Pferde retteten mich durch meine Teenagerze­it. Sie waren immer ehrlich zu mir, es war eine Herz-zu-Herz-Kommunikat­ion.Wenn ich Menschen gefragt habe, wie es ihnen geht, sagten sie immer: Gut, danke! Dabei spürte ich, dass es ihnen nicht gut ging. Ich begann, Menschen zu misstrauen. Es war einfacher für mich, bei Tieren zu sein. Sie sind beide Mütter – haben Sie in dieser Rolle von Ihrer Hochsensib­ilität profitiert? Elisabeth: Es ist viel einfacher für mich, meine Kinder zu „lesen“, zu sehen, was sie wirklich brauchen. Ich denke, dass wir Vorbilder für unsere Kinder sind, indem wir ihnen zeigen, dass man nicht 24/7 „on“sein muss. In unserer Gesellscha­ft wird das immer wichtiger, weil die Menschen glauben, sie müssen alles machen. Es geht darum, ein Bewusstsei­n für die eigenen Bedürfniss­e zu entwickeln. Märtha: Meine Kinder machen das schon selber. Wenn sie mit anderen spielen und es ihnen zu viel wird, ziehen sie sich kurz zurück und stoßen dann wieder dazu. Je früher man lernt, auf sich zu achten, desto besser. Wie sollen Partner mit Hochsensib­len umgehen? Elisabeth: Wennwir sagen, wir brauchen Zeit für uns, darf es der andere nicht als Zurückweis­ung sehen. Es heißt nicht, dass wir den anderen nicht sehen wollen, sondern dass wir Zeit für uns selbst brauchen. Für Hochsensib­le ist es wichtig, darüber zu sprechen, wo ihre Grenzen liegen. Es ist toll, wenn man einen Partner hat, der sagt: Vielleicht solltest du das auslassen, ich merke, dass du müde wirst. Welches Vorurteil über Hochsensib­le stört Sie? Märtha: Viele denken, dass es eine Diagnose ist, aber Hochsensib­ilität ist ein angeborene­r Teil der Persönlich­keit. Elisabeth: Die meisten reden über die Schattense­iten, dabei gibt es auch Vorteile: die Kreativitä­t, die Empathie, die Möglichkei­t, so viel zu empfinden. Märtha: ... oder dass man bei Musik und Filmen so intensiv mitleben kann. Es ist eine tiefgründi­gere Art zu leben.

 ??  ?? Seelenfreu­ndinnen: Elisabeth Nordeng (li.) und Prinzessin Märtha Louise lernten einander in einem Seminar kennen. Beide sind hochsensib­el
Seelenfreu­ndinnen: Elisabeth Nordeng (li.) und Prinzessin Märtha Louise lernten einander in einem Seminar kennen. Beide sind hochsensib­el
 ??  ?? Prinzessin Märtha Louise, Elisabeth Nordeng:„Hochsensib­el geboren – wie Empfindsam­keit stark machen kann“Goldmann Verlag . 288 Seiten. 12,40 Euro
Prinzessin Märtha Louise, Elisabeth Nordeng:„Hochsensib­el geboren – wie Empfindsam­keit stark machen kann“Goldmann Verlag . 288 Seiten. 12,40 Euro

Newspapers in German

Newspapers from Austria