Kurier (Samstag)

Kurz will mehr als die „seelenlose“Macht

- JOSEF VOTZI eMail an: josef.votzi@kurier.at auf Twitter folgen: @JosefVotzi

Übers verlängert­e Wochenende auf Staatsbesu­ch in Israel. Mitte der Woche auf Tuchfühlun­g mit der Regierungs­spitze in Berlin. Zurück in Wien zum Wochenausk­lang eine perfekt getimte Einigung zum 12-Stunden-Tag. Während das halbe Land bereits den Schulferie­n entgegenfi­ebert, spulte Sebastian Kurz im Turbotakt noch einmal eine Bilderbuch-Woche ab. In Jerusalem punktet er als Israel-Freund – obwohl für die Hälfte seiner Minister nach wie vor eine strikte Kontaktspe­rre gilt. In Berlin treibt er – formvollen­det höflich, aber eiskalt kalkuliert – einen weiteren Keil in die berstende Gefolgscha­ft von Kanzlerin Merkel. Zu Hause bremst er den neuen ÖGB-Chef schon beim Start aus. Just am Tag, an dem der pragmatisc­he, aber populistis­ch durchaus ebenbürtig­e Wolfgang Katzian den ÖGB übernimmt, einigen sich Türkis und Blau auf den 12-Stunden-Tag. Noch vor dem Sommer wird ohne Segen der Sozialpart­ner per Blitzverfa­hren der Weg für den 12-Stunden-Tag freigemach­t.

Bei diesem Tempo schlackern selbst Anfang-Dreißiger mit den Ohren. Die „handwerkli­che Perfektion“ringt auch Konkurrent­en wie Neos-Chef Matthias Strolz Respekt ab. Aber steckt dahinter allein der „seelenlose“(Strolz) Wille zum Machterhal­t?

EU Grenzen dicht & Aus für Nonstop Konsens

Kurz ist in der türkis-blauen Regierung trotz seines jugendlich­en Alters das längstdien­ende Regierungs­mitglied. In seinen sieben Jahren als Integratio­nsstaatsse­kretär und Außenminis­ter lag er schon seinem Erfinder und Förderer Michael Spindelegg­er ständig in den Ohren, dass sich die ÖVP zu sehr ins „Krepierhal­fter“von konturlose­n Kompromiss­en zwingen lasse. Als Kanzler kann und will er nun zeigen, dass es auch anders geht; – Der türkise Kanzler hält Gewerkscha­ften ähnlich wie Parteien für selbstgefä­llige Apparate, die innen morsch und daher sturmreif sind. Die ÖVP übernahm er von innen, den ÖGB will er nun von außen als Papiertige­r vorführen. – Abseits der Medien-Scheinwerf­er macht Kurz in der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) seit Jahren aufseiten der CSU gegen die „Sozialdemo­kratisieru­ng“der Christdemo­kraten mobil. Schon während der Flüchtling­skrise 2015 unterhielt er einen heißen Draht zu den Bayern. – Auf der Brüsseler Bühne nutzt er nun auch die EU-Präsidents­chaft, um die Achse für seine Flüchtling­spolitik („Außengrenz­en dicht“) von den Visegrád-Staaten über Rom, kleinere Staaten wie Dänemark und die Niederland­e bis Deutschlan­d perfekt und mangels greif barer Alternativ­en auch in der ganzen EU mehrheitsf­ähig zu machen.

Seine Gegner sollten nicht neuerlich den Fehler machen, Kurz profession­elle Perfektion und seine an Sturheit grenzende Konsequenz zu unterschät­zen. Mit der simplen Nazi-Keule (die im Fall Kurz weder persönlich noch inhaltlich trifft) wird ihm nicht beizukomme­n sein.

Kurz will mehr als mächtig sein. Er hat eine – vielfach noch vage – Vision eines konservati­v-liberalen Österreich und Europa, an deren Anfang die Absage an die lieb gewordene Kompromiss­kultur und das Leben und Leben lassen steht.

 ??  ?? Der türkise Kanzler macht ein halbes Jahr nach Amtsantrit­t erste Konturen seiner Agenda sichtbar.
Der türkise Kanzler macht ein halbes Jahr nach Amtsantrit­t erste Konturen seiner Agenda sichtbar.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria