Kurier (Samstag)

„Widerspric­ht bisheriger EuGH-Rechtsspre­chung“

EU-Richterin.

- – MARGARETHA KOPEINIG

Ex-Justizimin­isterin Maria Berger (SPÖ) ist seit 2009 Richterin am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg. Im Herbst endet ihre Funktionsp­eriode. KURIER: Frau Doktor Berger, Österreich übererfüll­t EU-Regelungen (Gold-Plating), sagt Justizmini­ster Moser. Er will das beenden. Ein richtiger Schritt? Maria Berger: Bei der Umsetzung von EU-Recht hat der Gesetzgebe­r immer gewisse Spielräume. Es ist auch immer sinnvoll, unnötige Bürokratie zu vermeiden, egal ob es nationale Zuständigk­eit oder EU-Recht ist. Viele EU-Vorschrift­en sind Mindestvor­schriften. Die EU schreibt mindestens vier Urlaubswoc­hen vor, Österreich hat fünf. Die Abschaffun­g der fünften Urlaubswoc­he könnte man auch als Vermeidung von Gold-Plating verkaufen. Nach unten nivelliere­n?

Das ist die Gefahr, dass Minimumsta­ndards bei sozialen Rechten, beim Konsumente­nschutz oder beim Strafrecht eingeführt werden. Ist die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe EU-konform?

Ich meine, dass sie bisheriger EuGH-Rechtsspre­chung widerspric­ht. Ich kann mich dazu äußern, weil ich im Falle einer Klage nicht mehr am EuGH bin. Problemati­sch ist, dass die Familienbe­ihilfe im Inland nicht indexiert ist, sondern nur für Personen, die von ihrem Recht auf Freizügigk­eit in der EU Gebrauch machen. Das sind entweder Personen, die aus einem anderen EULand zu uns gekommen sind und hier arbeiten, oder Österreich­er, die hier ihre Beiträge leisten und deren Kinder in einem anderen EU-Land sind. Erwarten Sie eine Klage bei Einführung der Indexierun­g?

Die schnellste Möglichkei­t ist, dass ein Arbeitnehm­er in Österreich, dem die Kinderbeih­ilfe gekürzt wurde, zu einem österreich­ischen Gericht geht. Dieses gibt dem EuGH den Fall im Vorabent- scheidungs­verfahren weiter. Kann auch die EU-Kommission in Brüssel aktiv werden?

Das ist die zweite Möglichkei­t. Die Kommission kann ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich einleiten (mehrstufig­es Verfahren). Am Ende entscheide­t die Kommission, ob sie den EuGH anruft. Die Regierung will mehr Subsidiari­tät. Was halten Sie davon?

Welche Kompetenze­n übertragen werden, muss von den Mitglieder­n einstimmig und mit Zustimmung nationaler Parlamente beschlosse­n werden. Die EU darf nur das tun, was ihr übertragen wurde. Wer sagt, das ist zu viel gewesen, müsste auch dazu sagen, dass es eine Änderung der EU-Verträge und eine neue Kompetenzv­erteilung braucht. Die Länder wollen, dass die EU mehr bei Grenzschut­z und Asylrecht tut sowie mehr Sanktionsm­öglichkeit­en gegenüber Staaten hat, die sich nicht an rechtsstaa­tliche Prinzipien halten. Auch Macron- und Merkel-Pläne rufen nach mehr EU-Kompetenze­n. Ist die Forderung populistis­ch?

Ich würde sie nicht generell so qualifizie­ren. Ich habe aber noch keinen konkreten Vorschlag gehört, welche Kompetenze­n der EU abgeschaff­t werden sollen. Auch in der österreich­ischen Debatte habe ich bis jetzt noch nichts gehört.

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Berger ist ab Herbst weiter Honorarpro­fessorin an Uni Wien

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