„Viele haben von Merkel genug“
Konflikt CDU/CSU eskaliert weiter. Die Causa schwächt die Kanzlerin, meinen Experten
Angesichts der aufgeheizten Stimmung, die derzeit in der deutschen Politik herrscht, schlug die Meldung Freitagmittag ein wie eine Bombe: CSU-Chef Seehofer kündige im Asylstreit mit der CDU das jahrzehntealte Bündnis mit der Schwesterpartei auf, hieß es in einem Twitter-Beitrag von „HR Tagesgeschehen“. Dank des vermeintlich seriösen Absenders – HR ist die Abkürzung des öffentlich-rechtlichen Hessischen Rundfunks – schaffte es die Meldung umgehend und ungeprüft auf Nachrichtenseiten in ganz Europa. Allein – sie war erfunden, und zwar vom Satiremagazin Titanic, wie wenig später bekannt wurde. Die CSU dementiert vehement, an ein Ende der Fraktionsgemeinschaft auch nur zu denken.
Als unwahr entpuppte sich auch eine Meldung der Rheinischen Post. Diese hatte berichtet, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zwischen den Unionsparteien vermitteln solle, was die CDU heftig dementierte.
Ultimatum
Was eindeutig stimmt: Die Union steckt in einer tiefen Krise, aus der sie nicht unbeschädigt herauskommen wird. Grund ist die Forderung von CSU-Chef und Innenminister Seehofer, Asylwerber, die in anderen Ländern registriert sind, an den Grenzen zurückzuweisen. Die CSU steht geschlossen hinter dem Plan, der für Kanzlerin Merkel ein Nogo ist. Die CDU-Chefin beharrt mit Unterstützung des Großteils ihrer Partei und des Koalitionspartners SPD auf einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise und will diese bis zum EU-Gipfel in zwei Wochen auf die Beine stellen.
Doch Seehofer droht: Sollte Merkel nicht bis Montag auf seine Linie eingeschwenkt sein, werde er Migranten per Ministerentscheid zurückweisen lassen. Die Gewerkschaft der Polizei, die seine Befehle umsetzen müsste, lehnt das allerdings ab.
Bereits seit dem „Flüchtlingsjahr“2015 streiten CDU und CSU über den Umgang mit Migranten. Dass der Konf likt jetzt derart hochkocht, liegt laut dem konservativen Historiker Andreas Rödder am Zusammentreffen mehrere Faktoren. „Deutschland ist bis heute nicht fertig mit den Ereignissen von 2015“, sagt der Mainzer Uni-Professor im KURIER-Gespräch. Das Thema Migration sei ein Pulverfass, das jederzeit hervorgeholt werden könne – wie jetzt von der CSU. Diese nutze die Asylfrage, um bei den bayrischen Landtagswahlen im Oktober ihre absolute Mehrheit zu erhalten.
Ein weiterer Faktor sind laut Rödder Gewalttaten durch Asylwerber und Versagen von Behörden, etwa im Skandal ums Amt für Migration undFlüchtlinge (BAMF), dessen Spitze Seehofer nun austauscht. Zudem hätten viele Menschen von Merkel nach 13 Jahren an der Regierungsspitze genug. Rödder: „Man muss sich die Frage stellen, wie man es überhaupt so lange ohne Machtverfall aushalten kann.“
Kompromisslösung
Merkel sei schon relativ weit auf die CSU zugegangen, analysiert Rödder. Erfülle sie deren Forderung zur Gänze, würde das ihre gesamte Flüchtlingspolitik infrage stellen. Immerhin habe sie 2015 beschlossen, Migranten nicht an den Grenzen abzuweisen. Rödder rechnet daher mit einer Kompromisslösung. Auf alle Fälle werde Merkel geschwächt aus der Sache hervorgehen. „Wir gehen auf das Ende der Ära Merkel zu.“
Die Oppositionsparteien nutzen den Streit in der Union, umsich zu profilieren, und wettern gegen Merkel und Seehofer. Die Linksfraktion forderte gar eine Vertrauensabstimmung im Bundestag. Auch die Medien machen mobil. „Warum bleibt Merkel so stur?“titelte die Onlineausgabe der Bild- Zeitung gestern. In einem Kommentar heißt es: „Angela Merkel riskiert die politische Stabilität im Land (...) für eine Politik, die die überwäl- tigende Mehrheit der Menschen (...) so nicht mehr will.“
Fußball statt Politik
Der Spiegel kritisiert auch die CSU: „Endlich können ihre Leute die Sau herauslassen, die sie so lange einsperren mussten, um im Bund mitregieren zu können.“Das Magazin ist aber optimistisch: „Sollte diese Regierung noch bis zum Anpfiff am Sonntag überstehen, wenn Deutschland in Moskau gegen Mexiko spielt, hat Merkel gewonnen. Dann interessiert sich dieses Land (...) vorrangig für den orthopädischen Gesundheitszustand Manuel Neuers. Und dann kann die Union still und ohne große Worte einen Kompromiss finden.“