Kurier (Samstag)

Österreich­s Motto: Ojeeee statt Olé

- GREGOR SEBERG sport@kurier.at

Das Leben ist ungerecht. Das weiß man spätestens, wenn man beim Kickerl im Park als Letzter gewählt wird. Oder wenn einem die große Liebe aus der Nebenklass­e „Du bist für mich wie ein Bruder“ins Ohr flüstert. In dem sehr erhellende­n Buch „BeschissAt­las“von Ute Scheub und Yvonne Kuschel kann man noch mehr solcher Ungerechti­gkeiten nachlesen.

Etwa, dass der arme Emir von Dubai auf einer peinlich kleinen Nussschale von lediglich 162 Meter Länge über die Weltmeere schippern muss, misst doch jene von Roman Abramowits­ch stolze 162,5. Also um enorme 50 Zentimeter mehr! Ob es auch ungerecht ist, dass der arme russische Oli- garch zwei Mal hat nachbesser­n müssen, um den Emir zu schlagen, ist nicht restlos geklärt.

Es geht noch schlimmer: Laut Wikipedia wird die Liste der ältesten Menschen von zwanzig Frauen angeführt, dann erst kommt der erste Mann. Wir Männer sind also in vielerlei Hinsicht entweder himmelschr­eiend wettbewerb­sorientier­t oder aber benachteil­igt.

Und in genau diese Kerbe schlägt die ebenso himmelschr­eiende Ungerechti­gkeit, dass Österreich­s Fußballer nicht an der WM teilnehmen dürfen. Wir haben trainiert, wir haben Deutschlan­d und Russland geschlagen, und wir haben Arnautovic. Bessere Voraussetz­ungen gibt es gar nicht.

Um 1900 erlebte der öster- reichische Fußball eine erste Blütezeit. Da spielte Österreich gegen die Schweiz. Die Verbände bewerteten dieses Spiel allerdings als inoffiziel­l. Es wird in guter österreich­ischer Tradition aber nicht negiert, sondern als „Ur-Länderspie­l“archiviert. Also noch älter als alt. Oder „großartig“– was die Vorsilbe Ur- ja auch bedeuten kann.

Ein Privileg

Da es Schülern unter achtzehn Jahren aber verboten war, in Vereinen zu kicken, mussten sie sich, um nicht von Eltern oder Lehrern erkannt zu werden, Bärte aufkleben und Perücken tragen. Diese Tradition hielt sich sehr lange, heute wird es quer durch alle Gesellscha­ftsschicht­en als Privileg angese- hen, für Österreich zu kicken.

Für den Fußball taten und tun wir alles. Und jetzt dürfen wir nicht. Das ist ungerecht. Es gibt Jugendlich­e, die haben noch nie eine Teilnahme Österreich­s an einer WM miterlebt. Das ist, wie wenn man mit zwanzig im Auto noch hinten in der Mitte sitzen muss.

Was passiert nun aber mit den vielen Fans, die sich schon auf das Abenteuer Russland eingestell­t hatten? Die vielen Balkone, die mit überdimens­ionalen Österreich-Fahnen und rot-weiß-roten Elektrogri­llern geschmückt wurden, hängen jetzt sinnlos an den Hauswänden wie verlassene Vogelneste­r. Und was ist mit jenen armen Teufeln, die Urlaub genommen, die Scheidung eingereich­t oder die Hochzeit verschoben haben, um nach Russland zu pilgern und dort bluthochdr­uckfördern­d – „das einzig Weiße im Gesicht ist das Rote in die Augen“– unsere Helden durch die Gruppenpha­se zu begleiten?

Könnte man nicht wenigstens ihnen eine Teilnahme ermögliche­n? Als neutrale Beobachter? Man müsste diese Jubelmasse einfach nur kleineren Nationen zuteilen, die nicht so viele Fans vor Ort haben, für die würden sie dann Stimmung machen. Oder statt „Olé“wie beim Stierkampf könnten sie doch immer, wenn einer Mannschaft ein Spielzug misslingt, ein empathisch­es „Ojee“rufen. Gregor Seberg ist österreich­ischer Schauspiel­er und Kabarettis­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria