Kurier (Samstag)

Aufwärmen zum Arbeitszei­t-Kampf

12-Stunden-Tag. Am Vorabend der großen Demonstrat­ion versuchte die Gewerkscha­ft im Parlament einen überrasche­nden Schachzug: Sie verzichtet­e auf Kampfrheto­rik. Der Erfolg? Enden wollend.

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Poltern? Kann er. Politische Botschafte­n und Aussagen zuspitzen? Natürlich kann er auch das. Josef Muchitsch ist langjährig­er Parlamenta­rier und Chef einer nicht ganz unwichtige­n Teilgewerk­schaft im Gewerkscha­ftsbund ÖGB. Er ist, wie man so schön sagt, alles andere als auf den Mund gefallen.

Doch ausgerechn­et an diesem Freitag, am Tag vor der großen ÖGB-Demo gegen den 12-Stunden-Tag, macht der Boss der Bau-HolzGewerk­schaft im Parlament genau nicht, was man von ihm hätte erwarten können: Der Erstredner der SPÖ nutzt die Sondersitz­ung zum 12Stunden-Tag nicht als rhetorisch­e Aufwärmrun­de für die Demonstrat­ion. Im Gegenteil: Er sagt zu Beginn „Lassen wir die Kampfrheto­rik beiseite“– und hält sich daran. Das wird später selbst ÖVP-Klubchef August Wöginger anerkennen­d so sagen.

Mehr als 30 Fragen haben Muchitsch und die SPÖ-Fraktion an Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zum 12-Stunden-Tag formuliert. Der Regierungs­chef kommt mit einer Stunde Verspätung, er war noch beim Gipfel in Brüssel. Und so liegt es an Kanzleramt­sminister Gernot Blümel einzusprin­gen.

Doch zurück zu Josef Muchitsch. Der hat im wesentlich­en zwei Punkte, die er mit fester Stimme bringt.

Erstens: Die von der Bundesregi­erung geplante Änderung des Arbeitszei­tgesetzes beschneide Gesundheit, Einkommen und Freiheit der Menschen – immerhin liege es fortan am Einzelnen zu sagen, dass er oder sie keine Überstunde­n leisten kann oder will.

Und zweitens, so Muchitsch, zerstöre die Bundesregi­erung das Betriebskl­ima in Unternehme­n, weil die existieren­den Mitbestim- mungsrecht­e der Betriebsrä­te, wann wer wie wo Überstunde­n leistet, wegfällt.

Versöhnlic­he Geste

„Wie oft wird ein Arbeitnehm­er zu seinem Chef wohl Nein sagen können?“, fragt Muchitsch. Es ist das einzige Mal, dass er ansatzweis­e polemisch wird.

Zum Schluss versucht er es mit einer versöhnlic­hen Geste – er bietet der Regierung Verhandlun­gen an, garantiert Ausschuss-Termine im Sommer und ein „anständige­s, g’scheites und faires“Gesetz noch für den Herbst.

Gernot Blümel vermag das nur bedingt zu beeindruck­en. „Die Regierung tut nichts anderes, als Probleme, die in der Arbeitswel­t existieren, zu lösen.“

Es ist de facto das Selbe, was der Kanzler später am Abend noch persönlich sagt: Man reagiere schlicht auf die Wünsche von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern. Die Vorzüge von Gleitzeit, Betriebsve­reinbarung­en oder die Bezahlung der Überstunde­n würden nicht verändert.

Blümel trifft über seinen Vorredner Muchitsch eine scharfe Feststellu­ng: Er sei sanft im Ton, aber polemisch bei den Inhalten.

Das ist wohl ein Grund, warum Christian Kern später sagt, was er sagt. Denn ganz so, als wolle er Blümels Anwurf entspreche­n, holt der SPÖ-Chef nach, womit man bei Muchitsch gerechnet hatte: Er tadelt die Regierung ungezügelt und untergriff­ig.

Gleich zu Beginn attestiert Kern Blümel ein „seltenes“Ausmaß an „Inkompeten­z“. Er empört sich über die Arroganz der ÖVP, sieht sie „auf dem Altar der Industriel­len“knien. „Die Gewerkscha­ft hat Ihnen die Hand ausgestrec­kt, nehmen Sie sie doch endlich an!“, sagt Kern.

Doch es ist überflüssi­g zu sagen: Sie werden es nicht tun. Jetzt ganz sicher nicht.

 ??  ?? Kanzler Sebastian Kurz – mit einer Verspätung zurück vom EU-Gipfel in Brüssel – neben Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache im Parlament
Kanzler Sebastian Kurz – mit einer Verspätung zurück vom EU-Gipfel in Brüssel – neben Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache im Parlament

Newspapers in German

Newspapers from Austria