Kurier (Samstag)

Unwillige, Freiwillig­e und Zahlungswi­llige

- JOSEF VOTZI

KURIER-Karikaturi­st Michael Pammesberg­er hatte schon am Tag davor eine Vision über den Ausgang des Ringens um mehr Gemeinsamk­eiten in der EU-Flüchtling­spolitik (zu besichtige­n auf kurier.at): Ein Sprecher aller EU-Staatschef­s überbringt Angela Merkel die Botschaft: „Es gibt eine gemeinsame europäisch­e Lösung – Alle gegen Dich.“

Die „Conclusion­s“des jüngsten EU-Gipfels sind nur höflicher formuliert. Im Kern hat Pammesberg­er schon vorab den Nagel auf den Kopf getroffen. Alle sind sich einig: Mit Merkels Parole „Wir schaffen das“ist endgültig Schluss. Die EU macht die Grenzen dicht. Wie das gehen soll – dazu gibt es mehr neue offene Fragen als Antworten.

Politisch ist es ein Gipfel mit vielen kleinen Gewinnern. Der italienisc­he Premier, der gleich bei seiner Premiere im EU-Rat mit Veto drohte, konnte danach erleichter­t hinausposa­unen: „Ab heute ist Italien nicht mehr alleine“. Giuseppe Conte flog mit der vagen Zusage seiner Kollegen nach Hause, sie würden ihm freiwillig neu anlandende Flüchtling­e abnehmen. Die Quotenlösu­ng, auf die sich alle 2015 verpflicht­eten, bleibt totes Recht.

Die EU zerfällt in der Flüchtling­sfrage in immer mehr Neigungsgr­uppen: Die Gruppe der Unwilligen hat sich endgültig durchgeset­zt. Ein zweifelhaf­ter Erfolg, den sich die Visegrád-Gruppe rund um Viktor Orbán einmal mehr zu Hause auf ihre Fahnen heften kann. Neu sind die Freiund Zahlungswi­lligen. Anstelle der total unbrauchba­ren Dublin-Regeln soll zwischen den EU-Ländern „good will“mehr Verteilung­sgerechtig­keit garantiere­n – und in Afrika ein neuer Türkei-Deal für dichtere Außengrenz­en sorgen.

Damit geht auch Angela Merkel, die von EU-Untergangs­propheten in Brüssel und Berlin schon totgesagt wurde, mit einem Etappensie­g in die Ferien – auch dank Zusagen von EU-Kollegen zur Flüchtling­sübernahme.

„Ideen sind nur so viel wert wie ihre Umsetzung“

Das Ja zu „Anlandezen­tren“außerhalb der EU, vornehmlic­h in Afrika, kann zuvorderst Sebastian Kurz als Erfolg verbuchen. Er ist aber Realist genug, um zu wissen: „Ideen sind natürlich nur so viel wert wie ihre Umsetzung.“

Denn nach dem Gipfel vor der Sommerpaus­e in Brüssel ist vorm nächsten Gipfel Ende September in Salzburg. „Jetzt wird bei der österreich­ischen Präsidents­chaft noch eine große Zahl an Aufgaben liegen“, resümierte die deutsche Kanzlerin Samstagfrü­h für viele hörbar süffisant.

Die vielen offenen Fragen in Sachen Asyl bleiben politisch ganz oben auf der Agenda. Das geltende Asylrecht und Asyl-Management war nie für eine Völkerwand­erung wie 2015 gedacht. Neu unter Druck kommt es nicht durch einen neuen Massenanst­urm, sondern durch den EU-weiten Vormarsch der Rechtspopu­listen.

Ob der humane Umgang mit Flüchtende­n ein Opfer dieses Gipfels ist, wird erst die Praxis weisen. Aber auch hier warten Merkel, Juncker & Co mit einer auf den ersten Blick guten Nachricht auf: Für das Know-how der geplanten Anlandezen­tren außerhalb der EU soll das erfahrene UNO-Flüchtling­shilfswerk UNHCR sorgen.

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Die EU zerfällt in immer mehr Neigungsgr­uppen. Der Asyl-Härtetest bleibt nun an Sebastian Kurz hängen.

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