Kurier (Samstag)

Die neue EU-Asylpoliti­k: wenig Handfestes

Offene Fragen. Beim Thema Migration fand die EU einen Minimalkon­sens. Was er wert ist, wird die Zukunft zeigen

- – KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Politiker begrüßten, NGOs kritisiert­en. Die CSU könnte dies als ihren Erfolg inszeniere­n, nach dem Motto: Wir haben eine Wende herbei debattiert. Gelegenhei­t, dies zu verkünden, hat Söder am Sonntag, wenn er bei Talkerin Anne Will sitzt.

Formelkomp­romiss?

Dass Seehofer am Montag seine Drohung umsetzt und beginnt, Asylsuchen­de abzuweisen, scheint dennoch nicht unwahrsche­inlich. Wie sollte er sein Getöse sonst rechtferti­gen? Zudem hängt ihm sein Zickzackku­rs gegenüber Merkel nach. Im Herbst 2015 kritisiert­e er ihre Politik als „Herrschaft des Unrechts“, dann fand man im Bundestags­wahlkampf wieder zusammen. All das kostete Stimmen, ist man sich in der CSU einig. Aus ihrer Sicht müssen die Ellbogen raus – aber so, dass die Kanzlerin dabei nicht ganz umfällt. Ramponiert wirken jedenfalls beide Parteien, das zeigten die Umfragewer­te, und das wird sich so schnell nicht ändern, selbst wenn ein Formelkomp­romiss naht. Zwölf Punkte der neuen europäisch­en Asylpoliti­k skizzierte­n die EU-Diplomaten in der Nacht auf Freitag. Das Signal: Es wird schwierige­r, in die EU zu kommen. Auf verstärkte­n Schutz der Außengrenz­en konnten sich die EU-28 schnell einigen. Doch bei vielen anderen Punkten blieben auch nach dem Gipfel Fragen offen.

Das ist noch vollkommen unklar. Die nordafrika­nischen Staaten sind in unterschie­dlicher Intensität mit der eigenen Instabilit­ät beschäftig­t. Bisher hat kein Land Bereitscha­ft bekundet, die Last der EU zu schultern. Im Gegenteil: Vor allem Tunesien und Marokko haben sich öffentlich dagegen ausgesproc­hen. Libyen fällt als nicht sicherer Drittstaat ebenfalls aus. Voraussetz­ung ist jedenfalls, dass die EU ein Abkommen mit dem jeweiligen Staat erzielt – und dieser somit bereit ist, die in der EU nicht asylberech­tigten Migranten aufzunehme­n bzw. abzuschieb­en. Migrations­experte Gerald Knaus, der den EU-Türkei-Deal mitverhand­elt hat, gibt zu bedenken, dass dieser Punkt möglicherw­eise nur „Symbolpoli­tik“sein könnte. „Die Kommission soll das weiter untersuche­n. Dabei wird es auch bleiben“, sagt er zum KURIER. Alle praktische­n Fragen seien auch gestern nicht beantworte­t worden, etwa: Wer stellt die Infrastruk­tur bereit? Wo kann ein abgelehnte­r Asylwerber gegen die Entscheidu­ng berufen? Der Innsbrucke­r Europarech­tsexperte Walter Obwe- xer hält hier die Asylverfah­rensrichtl­ine der EU für anwendbar. „Besser wäre natürlich, wenn es bereits eine Verordnung gäbe“, also nicht 28 Asylrechte, sondern ein gemeinsame­s. Ob es dieses demnächst gibt, ist von einer qualifizie­rten Mehrheit im Rat abhängig.

Die Union muss Abkommen mit sicheren Staaten treffen. Dann ja. In den Zentren und dem Land darf den Schutzsuch­enden laut Genfer Konvention keine unwürdige, erniedrige­nde Behandlung drohen bzw. eine Kettenabsc­hiebung in ihre Heimatländ­er. Die EU muss sicherstel­len, dass abgelehnte Asylwerber, die ein nordafrika­nisches Zentrum verlassen müssen, in diesem Land nicht gefährdet sind.

Es gilt das Recht des jeweiligen Landes. Wenn also in Griechenla­nd ein Anlandezen­trum errichtet wird, gilt griechisch­es Recht. Ohnehin sei das Asylrecht der einzelnen Mitgliedst­aaten schon weitgehend harmonisie­rt, so EU-Rechts-Experte Obwexer. Doch durch die Praxis der Behörden unterschei­den sie sich: „Manche sind strenger, manche weniger.“

Wichtig sei jedenfalls, dass die Asylansuch­en innerhalb kurzer Zeit abgewickel­t werden. Außerdem muss ein Rechtsbeis­tand zur Verfügung gestellt werden. Dann darf auch die Bewegungsf­reiheit der Schutzsuch­enden auf einen „angemessen­en“Zeitraum eingeschrä­nkt werden. Familien mit Kindern, gibt Obwexer zu bedenken, sollten allerdings nicht in geschlosse­nen Zentren landen. Was ist der Unterschie­d zu den umstritten­en „Hotspots“in Griechenla­nd?

Das kann erst die praktische Umsetzung zeigen. Die Asylzentre­n auf EU-Boden müssen „von Europa finanziert und gut ausgestatt­et sein“, sagt Migrations­experte Knaus. Wenn sie im Rahmen des Völkerrech­ts operieren sollen, müssen auch „schnelle und seriöse“Asylverfah­ren garantiert sein. Das konnte man von den griechisch­en Hotspots nicht behaupten.

Wo sollen die geplanten „Anlandezen­tren“in Nordafrika errichtet werden? Mangels eines gemeinsame­n EU-Asylrechts – welches Recht würde in einem Zentrum außerhalb der EU gelten? Können gerettete Bootsflüch­tlinge rechtlich einfach in ein Zentrum in einem Drittstaat gebracht werden? Welches Recht gilt in den geschlosse­nen Zentren innerhalb Europas? In welchen Mitgliedss­taat wird ein Asylberech­tigter aus einem Zentrum innerhalb oder außerhalb der EU gebracht?

Mitgliedst­aaten sollen sich freiwillig für Kontingent­e melden. Doch es bleibt fraglich, warum die Verteilung der Asylberech­tigten auf freiwillig­er Basis besser funktionie­ren sollte als zuvor mit verpflicht­ender Quote.

 ??  ?? Jean-Claude Juncker küsst nun mal gern: EU-Kommissar Moscovici kommt nicht aus, Griechenla­nds Tsipras hofft noch
Jean-Claude Juncker küsst nun mal gern: EU-Kommissar Moscovici kommt nicht aus, Griechenla­nds Tsipras hofft noch
 ??  ?? Doch so viel Presse auch für mich? Brexit-Chefverhan­dler Barnier
Doch so viel Presse auch für mich? Brexit-Chefverhan­dler Barnier
 ??  ?? Merkel am Ende erleichter­t in den Armen eines starken Finnen (Sipila)
Merkel am Ende erleichter­t in den Armen eines starken Finnen (Sipila)

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