Die neue EU-Asylpolitik: wenig Handfestes
Offene Fragen. Beim Thema Migration fand die EU einen Minimalkonsens. Was er wert ist, wird die Zukunft zeigen
Politiker begrüßten, NGOs kritisierten. Die CSU könnte dies als ihren Erfolg inszenieren, nach dem Motto: Wir haben eine Wende herbei debattiert. Gelegenheit, dies zu verkünden, hat Söder am Sonntag, wenn er bei Talkerin Anne Will sitzt.
Formelkompromiss?
Dass Seehofer am Montag seine Drohung umsetzt und beginnt, Asylsuchende abzuweisen, scheint dennoch nicht unwahrscheinlich. Wie sollte er sein Getöse sonst rechtfertigen? Zudem hängt ihm sein Zickzackkurs gegenüber Merkel nach. Im Herbst 2015 kritisierte er ihre Politik als „Herrschaft des Unrechts“, dann fand man im Bundestagswahlkampf wieder zusammen. All das kostete Stimmen, ist man sich in der CSU einig. Aus ihrer Sicht müssen die Ellbogen raus – aber so, dass die Kanzlerin dabei nicht ganz umfällt. Ramponiert wirken jedenfalls beide Parteien, das zeigten die Umfragewerte, und das wird sich so schnell nicht ändern, selbst wenn ein Formelkompromiss naht. Zwölf Punkte der neuen europäischen Asylpolitik skizzierten die EU-Diplomaten in der Nacht auf Freitag. Das Signal: Es wird schwieriger, in die EU zu kommen. Auf verstärkten Schutz der Außengrenzen konnten sich die EU-28 schnell einigen. Doch bei vielen anderen Punkten blieben auch nach dem Gipfel Fragen offen.
Das ist noch vollkommen unklar. Die nordafrikanischen Staaten sind in unterschiedlicher Intensität mit der eigenen Instabilität beschäftigt. Bisher hat kein Land Bereitschaft bekundet, die Last der EU zu schultern. Im Gegenteil: Vor allem Tunesien und Marokko haben sich öffentlich dagegen ausgesprochen. Libyen fällt als nicht sicherer Drittstaat ebenfalls aus. Voraussetzung ist jedenfalls, dass die EU ein Abkommen mit dem jeweiligen Staat erzielt – und dieser somit bereit ist, die in der EU nicht asylberechtigten Migranten aufzunehmen bzw. abzuschieben. Migrationsexperte Gerald Knaus, der den EU-Türkei-Deal mitverhandelt hat, gibt zu bedenken, dass dieser Punkt möglicherweise nur „Symbolpolitik“sein könnte. „Die Kommission soll das weiter untersuchen. Dabei wird es auch bleiben“, sagt er zum KURIER. Alle praktischen Fragen seien auch gestern nicht beantwortet worden, etwa: Wer stellt die Infrastruktur bereit? Wo kann ein abgelehnter Asylwerber gegen die Entscheidung berufen? Der Innsbrucker Europarechtsexperte Walter Obwe- xer hält hier die Asylverfahrensrichtline der EU für anwendbar. „Besser wäre natürlich, wenn es bereits eine Verordnung gäbe“, also nicht 28 Asylrechte, sondern ein gemeinsames. Ob es dieses demnächst gibt, ist von einer qualifizierten Mehrheit im Rat abhängig.
Die Union muss Abkommen mit sicheren Staaten treffen. Dann ja. In den Zentren und dem Land darf den Schutzsuchenden laut Genfer Konvention keine unwürdige, erniedrigende Behandlung drohen bzw. eine Kettenabschiebung in ihre Heimatländer. Die EU muss sicherstellen, dass abgelehnte Asylwerber, die ein nordafrikanisches Zentrum verlassen müssen, in diesem Land nicht gefährdet sind.
Es gilt das Recht des jeweiligen Landes. Wenn also in Griechenland ein Anlandezentrum errichtet wird, gilt griechisches Recht. Ohnehin sei das Asylrecht der einzelnen Mitgliedstaaten schon weitgehend harmonisiert, so EU-Rechts-Experte Obwexer. Doch durch die Praxis der Behörden unterscheiden sie sich: „Manche sind strenger, manche weniger.“
Wichtig sei jedenfalls, dass die Asylansuchen innerhalb kurzer Zeit abgewickelt werden. Außerdem muss ein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt werden. Dann darf auch die Bewegungsfreiheit der Schutzsuchenden auf einen „angemessenen“Zeitraum eingeschränkt werden. Familien mit Kindern, gibt Obwexer zu bedenken, sollten allerdings nicht in geschlossenen Zentren landen. Was ist der Unterschied zu den umstrittenen „Hotspots“in Griechenland?
Das kann erst die praktische Umsetzung zeigen. Die Asylzentren auf EU-Boden müssen „von Europa finanziert und gut ausgestattet sein“, sagt Migrationsexperte Knaus. Wenn sie im Rahmen des Völkerrechts operieren sollen, müssen auch „schnelle und seriöse“Asylverfahren garantiert sein. Das konnte man von den griechischen Hotspots nicht behaupten.
Wo sollen die geplanten „Anlandezentren“in Nordafrika errichtet werden? Mangels eines gemeinsamen EU-Asylrechts – welches Recht würde in einem Zentrum außerhalb der EU gelten? Können gerettete Bootsflüchtlinge rechtlich einfach in ein Zentrum in einem Drittstaat gebracht werden? Welches Recht gilt in den geschlossenen Zentren innerhalb Europas? In welchen Mitgliedsstaat wird ein Asylberechtigter aus einem Zentrum innerhalb oder außerhalb der EU gebracht?
Mitgliedstaaten sollen sich freiwillig für Kontingente melden. Doch es bleibt fraglich, warum die Verteilung der Asylberechtigten auf freiwilliger Basis besser funktionieren sollte als zuvor mit verpflichtender Quote.