Kurier (Samstag)

Tödlicher Racheakt gegen die Vierte Gewalt

Massaker. Mann erschoss fünf Angestellt­e einer Zeitung, die über sein Cyber-Mobbing berichtet hatte

- – DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON

Die moderne, rot-braun verklinker­te Fassade des Bürokomple­xes an der Bestgate Road in Annapolis täuscht. Denn hier hat die siebtältes­te Zeitung Amerikas ihren Stammsitz, die ihre Wurzeln bis ins Jahr 1727 zurückverf­olgen kann.

Die Capital Gazette, ein kleines, feines Blatt mit 31 Mitarbeite­rn und einer Auflage von 30.000 Exemplaren wochentags, deckt engagiert das lokale Geschehen in der Hauptstadt des USBundesst­aates Maryland ab. Massenmord­e nicht. Bis Donnerstag­nachmittag Jarred Ramos mit einer geladenen Schrotflin­te in der Redaktion auftauchte, aus Rache wegen kritischer Berichters­tattung über ihn um sich schoss, dabei ein Blutbad anrichtete.

Der 38-jährige ComputerTe­chniker aus dem 40 Kilometer entfernte Laurel tötete laut Polizei gezielt vier langjährig­e Redakteure und eine Vertriebsa­ssistentin. Zwei weitere Angestellt­e wurden verletzt. Einen schlimmere­n Anschlag auf Journalist­en hat es in den USA vor und nach dem Terror-Großereign­is am 11. September 2001 nicht gegeben.

Überlebend­e berichten

Die Branche verneigte sich vor den Überlebend­en, die trotz des Schocks profession­ell reagierten und sich zu Chronis- ten ihrer Tragödie machten. Schon 45 Minuten nach dem Blutbad liefen auf der Internetse­ite Eilmeldung­en. Der hauseigene Polizeirep­orter Phil Davis schrieb: „Es gibt nichts Furchteinf­lößenderes als zu hören, wie Menschen erschossen werden, während man selbst unter einem Schreibtis­ch hockt und hört, wie der Schütze nachlädt.“Nachlädt, so die Ermittler, weil Ramos seit Jahren mit der Capital tief im Clinch lag.

Der Reporter Eric Hartley hatte im Jahr 2011 geschriebe­n, wie Ramos einer früheren Highschool-Mitschüler­in in Sozialen Netzwerken in fiesester Cyber-Bully-Manier nachstellt­e und sie – als sie ihn freundlich abwies – bei ihren Arbeitgebe­rn anschwärzt­e, bis sie entlassen wurde, und sie später zum Selbstmord auffordert­e.

Dafür wurde der frühere Angestellt­e einer Statistikb­ehörde nach einem Schuldeing­eständnis verurteilt. Ramos aber ließ nicht locker. Er überzog die Zeitung 2015 mit einer Verleumdun­gsklage. Sie scheiterte krachend. Der zuständige Richter bescheinig­te der Capital Gazette seriöse Arbeit. Ramos inszeniert­e trotzdem eine regelrecht­e Vendetta. Wie er an die Waffe gekommen ist, wird noch untersucht. Tatsache ist, dass er sich intensiv vorbereite­t hatte.

Weil das Blutbad zeitlich zusammenfä­llt mit schärfer werdenden Attacken von Präsident Trump, der Leitmedien als „Feinde des Volkes“abkanzelt und mit Eingriffen in die Pressefrei­heit liebäugelt, wurde das Geschehen sofort politisier­t. Kommentato­ren stellten einen Konnex zu dem rechtslast­igen Provokateu­r Milo Yiannopoul­os her, der Trump lobt und Medien in die Ecke linksradik­aler Tugendwäch­ter rückt. „Ich kann es nicht abwarten, bis Bürgerwehr­en beginnen, Journalist­en auf der Stelle abzuknalle­n“, hatte er am Dienstag gesagt. Nun beteuerte der Brite: „Es war ein Scherz.“Trump selbst schickte „Gebete“nach Annapolis und bedankte sich bei Polizei und Notärzten.

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Trotz des schrecklic­hen Attentats erschien am Freitag eine Ausgabe der Capital Gazette

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