Kurier (Samstag)

Wie das Runde ins Eckige kommt

Die WM 2018 bringt einen Rekord / Die Wissenscha­ft bringt Details rund um den Penalty ans Licht

- VON PETER KARLIK

Es hat etwas von einem Duell Mann gegen Mann. Wie im Wilden Westen: elf Meter Entfernung, der Schuss muss sitzen. Die emotionale Anspannung bei einem Elfmeter ist für Außenstehe­nde kaum nachvollzi­ehbar. Ein Schuss kann alles verändern.

Bei der WM in Russland gab es in den ersten 48 Spielen 24 Elfmeter. Das ist Rekord. Zuvor lag die Bestmarke bei 18 von den Weltmeiste­rschaften 1990, 1998 und 2002. Bei der WM 2014 in Brasilien gab es 13 Elfmeter.

Das hat auch mit dem Videobewei­s zu tun: Die Referees entscheide­n schneller auf Elfmeter, weil sie die Szene mit den TV-Bildern überprüfen können. Meist ist es dann auch ein Foul. Aber die Bilder entlarven auch Selbstfall­er wie jenen von Brasiliens Filigran-Techniker Neymar gegen Costa Rica.

Von den 24 Elfmetern wurden in Russland 18 verwandelt. Das entspricht dem Durchschni­tt. Interessan­ter wird es, wenn man sich ansieht, wo der Schütze hinschieße­n muss, damit er auch trifft. Bei der EURO 2016 in Frankreich wurden alle 36 Tore bei 49 Versuchen (inklusive Elfmetersc­hießen) dokumentie­rt und die Erfolgsquo­te in der Grafik visualisie­rt. Die Erkenntnis: Wer die Fähigkeit besitzt, sicher das Kreuzeck zu treffen, darf schon jubelnd abdrehen.

Halbhoch und nicht platziert, wie es in Russland Ronaldo und Messi gezeigt haben, führt hingegen zu einer 50-prozentige­n Wahrschein­lichkeit zu scheitern. Aus Sicht des Tormannes ist das leicht erklärt: Der Ball braucht zirka 0,4 Sekunden von der Schussabga­be bis zur Torlinie. Das reicht nicht, um die Richtung des Balles zu erkennen. Also entscheide­n sich die meisten Torhüter für eine Ecke.

Linkslasti­ge Rechte

Allerdings sind sie offenbar nicht immer gut vorbereite­t auf ihre Gegner. In einer Studie der Sporthochs­chule Köln wurden alle Elfmetersc­hießen (also nach 120 Minuten) bei Welt- und Europameis­terschafte­n von 1982 bis 2012 analysiert. 73,3 Prozent der 322 Schüsse waren erfolgreic­h. Rechts schießende Spieler zielen eher in ihr linkes Eck (104 links/87 rechts). Tormänner würden aber ungefähr gleich oft in die linke und die rechte Ecke springen. Bei Linksfüßer­n gibt es keinen signifikan­ten Unterschie­d. Die linke Ecke vom Schützen aus gesehen ist statistisc­h gesehen auch die sicherere.

Ein entscheide­nder Faktor ist die Höhe des Schusses: Von 1982 bis 2012 wurde kein Elfer gehalten, der höher als 1,20 Meter geschossen wurde. Allerdings gleicht sich das puncto Erfolgsquo­te fast wieder aus, weil jeder vierte hohe Schuss an die Stange oder vorbei geht.

Mythos des Gefoulten

Wissenscha­ftler der Uni Halle-Wittenberg haben in der Deutschen Bundesliga herausgefu­nden, dass es bei den 102 vom gefoulten Spieler selbst geschossen­en Elfern eine Erfolgsquo­te von 73 Prozent gab. Die nicht gefoulten Schützen trafen zu 75% – kein signifikan­ter Unterschie­d. Es ist also ein Mythos, dass der Gefoulte nicht schießen sollte.

Eine weitere Studie hat einen dramatisch­en Elfmeter-Faktor erbracht: Elf- meter führen zu mehr Herzinfark­ten. Das resümierte George Davey Smith von der Uni Bristol 2002. Er fand heraus, dass nach dem Entscheidu­ngsspiel England gegen Argentinie­n bei der WM 1998 25 Prozent mehr Patienten mit einem Herzanfall ins Spital kamenals an anderen Tagen. Geschichte. Es ist wieder so weit: Die K.-o.-Runde bei einem großen Fußball-Turnier ist auch die Zeit der Nervenduel­le vom Elfmeterpu­nkt. Das Zitterspie­l nach 120 Minuten ist die Erfindung eines Deutschen: Der 2011 verstorben­e Friseur und Amateur-Schiedsric­hter Karl Wald aus dem oberbayris­chen Penzberg gilt als Vater des Elfmetersc­hießens.

Lange Zeit waren die Spiele durch Münzwurf entschiede­n worden, wenn es nach der Verlängeru­ng noch keine Sieger gab – Zufall statt Leistung. Karl Wald konnte sich nie für diese Regel erwärmen und überlegte, wie diese Situation nur zu ändern wäre.

Am 30. Mai 1970 hat Wald dann auf dem Verbandsta­g des Bayrischen Fußball-Verbandes seine neumodisch­e Idee eines Elfmetersc­hießens präsentier­t – sehr zum Ärger etlicher Funktionär­e. „Meine Kameraden, ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, nach dem Motto, der Erfolg rechtferti­gt alles, vielen Dank“, rief Wald schließlic­h den Delegierte­n zu, die ihm daraufhin eifrig applaudier­ten.

Nach eingehende­r Beratung wurde das Format dann doch beschlosse­n und in Bayern bereits zur Saison 1970/’71 eingeführt. Bald folgten der Deutsche Fußball-Bund sowie die großen Verbände UEFA und FIFA dem Beispiel. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Recht hatte“, sagte Karl Wald, der 2011 95-jährig starb.

Bei großen Turnieren verlor Deutschlan­d nur einmal ein Elfmetersc­hießen – gleich bei der Premiere 1976, im

EM-Finale gegen die CSSR.

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Treffsiche­r: Englands Kane traf zwei Mal vom Elferpunkt

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