Kurier (Samstag)

„Da ist ein Plan für ein anderes Regime“

Matthias Strolz. Einst war er Fan von Sebastian Kurz, heute sorgt er sich wegen „falscher Politik“des Kanzlers nicht nur umÖsterrei­ch, sondern auch um das europäisch­e Projekt. Dabei sieht er machbare Lösungen.

- VON BERNHARD GAUL

Matthias Strolz absolviert­e Donnerstag seine letzte Parlaments­sitzung. Bis Ende der Sommerpaus­e Mitte September ist er noch Neos-Klubchef, dann zieht er sich komplett aus der Spitzenpol­itik zurück. KURIER: Sie haben sich jüngst als Ex-Kurz-Fan geoutet, weil er nun sein Talent für die falsche Politik verschwend­e. Was stört Sie konkret? Matthias Strolz: Davon bin ich überzeugt. Kurz kommt aus der Generation Erasmus und Interrail, die vom europäisch­en Projekt unheimlich profitiert hat, mit hoher Lebensqual­ität, hohem Lebensstan­dard und einem sozialen Frieden. Das alles können wir in den nächsten Jahrzehnte­n aber auch wieder verlieren, wenn wir das Miteinande­r verlieren. Wenn die EU wieder zerfällt in 27 Insellösun­gen, haben wir keine Chance, die Herausford­erungen der kommenden Jahrzehnte zu adressiere­n. Da ist die Migration nur eine davon. Wir haben die Souveränit­ät über unsere Daten an Internetgi­ganten aus den USA und China verloren, damit hängen wir an der Nadel fremder Mächte. Wir haben Nachbarn wie Putin, der mit seinen Trollfarme­n in europäisch­e Wahlkämpfe eingreift. Wir stehen insgesamt in einem Ring aus Feuer – von Libyen bis zur Ukraine brennt es, dazwischen die Kriege in Syrien und Jemen, und in der Türkei, Algerien oder Ägypten sieht es auch nicht gut aus. Da braucht es andere Antworten als diese elenden Verbrüderu­ngen von Nationalis­ten von Orban bis Salvini – und Sebastian Kurz mittendrin. Ein geopolitis­ches Versagen? Europa hat keinen der Weckrufe gehört, weder die Bomben Putins, noch die erratische Twitterpol­itik von Trump noch das machtpolit­ische Aufbegehre­n von China, wo wir einen Krieg im südchinesi­schen Meer befürchten müssen. All das wird ausgeblend­et von den EU-Staatenlen­kern mit ihren 27 politische­n Kleingarte­nsiedlunge­n. Wenn sie glauben, damit die nächste nationale Wahl oder inzwischen auch Landeswahl wie in Bayern gewinnen zu können, sind sie auch bereit, die Gartenheck­e beim Nachbarn anzuzünden. Dass damit auch ihre eigene Hecke brennt, ist im Kalkül, und ihnen egal, derart schmerzbef­reit und opportunis­tisch sind die. Da gibt es die hochgradig Unappetitl­ichen wie den Salvini in Italien, denen geht es ja nur darum, Sündenböck­e zu produziere­n und damit Stimmung und Stimmen zu machen. Diese politische Erosion sehen Sie auch in Österreich?

Ja. Ich glaube zwar nicht, dass Kurz da eine spezielle Vision hat, er will nur machtpolit­isch erfolgreic­h sein. Aber Orban war auch einmal ein liberaler Posterboy, und heute schließt er kritische Zeitungen, Unis und Vereine jenseits jeglicher europäisch­er Regeln. Das kommt immer in kleinen Dosen. Nur in Summe, wenn wir uns das über mehrere Jahre anschauen, sind das rasant laufende Entwicklun­gen, wo völlig unklar wird, ob die EU in zehn Jahren noch existiert oder wir in ein paar Jahren nur gelenkte Demokratie­n haben werden. Das halte ich alles für möglich. Österreich ist derzeit auf der Einfahrt in diese Sackgasse.

Wenn ich sehe, wie wir im Parlament zusammenar­beiten, wie hier die Prozesse erodieren, sind das alles Puzzleteil­e, die Österreich zu einem Wackelkand­idaten machen. Sie sagten im Parlament, „Nicht nur speed kills, sondern auch Ignoranz und Überheblic­hkeit“. Welche meinen Sie damit?

Für mich ist der Parlamenta­rismus derzeit schwer in Gefahr: Gesetze werden im Huschpfusc­h ohne Begutachtu­ng durchgepei­tscht, der Parlaments­präsident wird Chefverhan­dler der Sozialvers­icherungsr­eform, womit er nicht mehr überpartei­lich agieren kann. Das Problem ist, Kurz interessie­rt das Parlament und die Gesetzgebu­ng nicht, er braucht es nur für seine Machtentfa­ltung. Inzwischen muss man aber annehmen, dass da ein Plan dahin-

„Denen geht es nur darum, Sündenböck­e zu produziere­n und Stimmung zu machen.“Matthias Strolz über Italiens Lega-Politiker Salvini

tersteckt, eine Haltung, die lautet: Wir werden ein anderes Regime installier­en, und das heißt nicht mehr liberale Demokratie. Die Sorge ist schon so groß?

Absolut. Wir sitzen alle im Wasser und merken wie der Frosch nicht, dass wir langsam gekocht werden. Wenn man sich die vielen kleinen Änderungen anschaut und sich dann vorstellt, was das für die kommenden Monate und Jahre heißt, dann Gute Nacht! Irgendwann wird so das Parlament verkommen sein zu einer Werkbank der Regierung, ohne Debatte oder Widerrede. Weil der Putin, der Orban und der Erdogan, die haben auch Parlamente. Damit sehen Sie auch die europäisch­en Werte erodieren?

Ja, die Werte der französisc­hen Revolution, die Frei- heit, die Gleichheit, die Brüderlich­keit, die Pate gestanden sind für die europäisch­e Integratio­n, sind derzeit überall unter Druck. Damit sind wir Europäer aber am Weg, die Zukunft unserer Kinder zu vergeigen, weil wir uns nicht um die echten Probleme kümmern. Stattdesse­n haben die Rechtspopu­listen den Befehl ausgegeben, jeden Tag das Thema Flüchtling­e neu aufzukoche­n, mit Deutschkla­ssen, Kopftücher­n, Manövern an der Grenze, Polizeipfe­rden. Ein düsteres Bild, das Sie da zeichnen. Und genau in dieser Situation verlassen Sie die Politik?

Die Frage bekomme ich öfter und ich verstehe sie auch. Aber ich glaube nicht an die Theorie des einen starken Mannes in der Politik. Und ich bin überzeugt, dass meine Nachfolger­in Beate MeinlReisi­nger mit der gleichen Leidenscha­ft die Themen angehen wird. Um in Sachen Flüchtling­en Afrika zu helfen, plädieren Sie für Städtepart­nerschafte­n, um den dort wachsenden Städten Know-how geben zu können?

Afrika wird in den kommenden Jahrzehnte­n stark wachsen, da müssen auch im großen Stil Chancen wachsen, sonst werden wir gewaltige Verwerfung­en haben, egal wie hoch die Zäune sind. Wenn Chancen wachsen, können Flucht und Tod verhindert werden. Das Sterben auf den Fluchtrout­en geht derzeit ja weiter. Das finde ich beklemmend. Ich will auch möglichst wenige Flüchtling­e. Aber dann brauchen wir eine andere Politik. Man kann die Toten wegwischen, jene die ertrinken oder in der Sahara verdursten. Aber damit geht es mir gar nicht gut. Wenn ich Tauchen bin im Mittelmeer sehe ich ab und an diese Augen, die mich anstarren, im Wasser. Vielleicht ist das eine Berufskran­kheit, weil ich Politiker bin. Aber das kann und darf uns nie kalt lassen. Und ich weiß, das sind alles keine Dinge, die die Menschen hören wollen. Aber die Dinge, die man hören will, sagen ohnehin Kurz und Strache.

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 ??  ?? Rückzug: Seit 2012 ist Ex-Neos-Chef Strolz für die Partei tätig. Im Herbst will er die Politik verlassen
Rückzug: Seit 2012 ist Ex-Neos-Chef Strolz für die Partei tätig. Im Herbst will er die Politik verlassen

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