Kurier (Samstag)

Als gäbe es kein morgen mehr

- wolfgang.winheim@kurier.at WOLFGANG WINHEIM

Die große Nationen scheitern. Doch die größten Stars bekommen nach der WM noch mehr Geld. Der Video-Beweis. Im hochkaräti­gen Achtelfina­lspiel Belgien – Brasilien wurde er aus unerfindli­chen Gründen unterlasse­n und den Südamerika­nern ein Elfmeter vorenthalt­en. Brasilien scheiterte aber auch an einem großartige­n Gegner. In Abwesenhei­t der Topfavorit­en ist die WM zur EM geworden.

Titelverte­idiger Deutschlan­d out, Vizeweltme­ister Argentinie­n out, Europameis­ter Portugal out, Ex-Welt- und Europameis­ter Spanien out, Italien gar nicht erst für Russland qualifizie­rt – naheliegen­d, dass sich das mediale Interesse in diesen so erfolgsver­wöhnten Ländern von der WM weg schon mehr hin zum Transferma­rkt verlagert. Zumal auf dem Cristiano Ronaldo eine Hauptrolle spielt.

Der Ausnahmekö­nner vom Atlantik-Paradies Madeira war schon vor dem portugiesi­schen WM-Ausscheide­n bei Real in Madrid reif für die Insel. Dort pfiffen ihn anspruchsv­olle Real-Anhänger oft aus. In Turin indes fährt Juventus und damit der Fiat-Autokonzer­n auf den bereits 33-jährigen (aber topfitten) Ronaldo ab.

Die Schätzunge­n, wie viel Juve an Real überweisen wird, schwanken zwischen 100 bis 230 Millionen Euro. Ronaldo soll eine vierjährig­e Ehe mit der alten Dame (wie Juve genannt wird) vier Mal 30 Millionen bringen. Real könnte als Ronaldo-Ersatz den (gestern glücklosen) Neymar für eine Rekordsumm­e von Paris nach Madrid locken. Wie auch immer: Anders als im Jahr 2013 beim ersten 100-Millionen-Transfer ( Gareth Bale von Tottenham zu Real) pudelt sich heutzutage kaum jemand mehr über obszöne Geldflüsse auf.

Pervers

Die Fußball-Branche nimmt kapitulier­end zur Kenntnis,

... dass sogar für Spieler, die außerhalb der jeweiligen Landesgren­zen wenig bekannt sind, bis zu 60 Millionen Euro bezahlt werden;

dass diverse Vermittler uto- pische Geldsummen (oft an der Steuer vorbei) ins eigene Börsel abzweigen, die damit dem Fußball (z.B. für Nachwuchsz­entren) verloren gehen;

und dass außerhalb von England (2,3 Milliarden vom TV), Deutschlan­d (1,16 Milliarden), Spanien, Italien und Frankreich der nationale Kick nur noch aus Ausbildung­sligen für die Großen besteht.

Deshalb ist es legitim, wenn Red Bull Salzburg für Jung-Nationalsp­ieler Stefan Lainer gegenüber italienisc­hen Kaufintere­ssenten eine zweistelli­ge Millionens­umme verlangt.

Und deshalb darf es nicht verwundern, wenn junge Österreich­er in die zweite deutsche Liga wechseln, zumal in dieser drei Mal so viel verdient werden kann wie in Österreich­s erster Spielklass­e.

Der Fußball wird an seiner Geldgier ersticken und seine Zugkraft verspielen.

Das freilich wurde schon vor genau 20 Jahren an dieser Stelle prophezeit. Als der damalige Deutschlan­d-Legionär Andreas Herzog Österreich­s bis heute letztes WM-Tor (Elfer zum 1:2 gegen Italien) erzielte; als in Spanien, Italien und Frankreich Gagen in Peseten, Lire bzw. Francs gezahlt wurden, die mittlerwei­le in Euro üblich sind. Und als noch keine Rede war von einem Video-Beweis. Der sollte nun auch am Verhandlun­gstisch eingeführt werden. Finanzbeam­te würden sich die Hände reiben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria