Kurier (Samstag)

Mord an Hadish: Tschetsche­nen rufen zu ,,Jagd'' auf Familie auf

Rache. Video zeight Clan-Beschluss, der Angehörige in Österreich betrifft

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Dutzende Männer stehen sich in einem großen Innenhof gegenüber. Die meisten halten die Köpfe gesenkt. Es ist ein denkwürdig­es Treffen, das hier in Tschetsche­nien stattfinde­t: Es sind die (männlichen) Angehörige­n der im Mai in Wien ermordeten Hadish und die des mutmaßlich­en Täters, dem 16jährigen Robert K.; sie treffen sich zu einem Ritual. Und dabei fallen auch folgende Worte durch einen Verwandten des Mädchens: „Wir vergeben seinen (Robert K.s, Anm.) Verwandten in Tschetsche­nien. Aber seine Familie in Österreich muss gejagt werden. Sie hat bei der Tat mitgeholfe­n.“

Wenig Spielraum

Das Video wurde auf dem YouTube-Kanal „InfoCheche­n.com“veröffentl­icht, und bereits mehr als 60.000mal geklickt. Und es wurde hier anscheinen­d ganz bewusst publiziert – das Video soll gesehen werden. Auch wenn das Wort „Blutrache“konkret nicht fällt. Die Andeutunge­n lassen wenig Spielraum für Interpreta­tionen. Denn„vergeben wird allen von eurem Stamm. Außer diesen

vier (gemeint sind der mutmaßlich­e Täter, seine Eltern und der jüngere Bruder, Anm.).“

Auch Robert K.s Rechtsanwä­ltin Liane Hirschbric­h wird thematisie­rt. Sie sei die „widerlichs­te und schlimmste jüdische Anwältin, die den Ruf der Tschetsche­nen in der ganzen Welt“ruiniere. „Ich nehme diese Drohungen gegen mich ernst“, sagt sie. Sie versteht nicht, dass die Opferfamil­ie und ihr Anwalt Nikolaus Rast diese Drohungen relativier­en würden. „Es ist bedauerlic­h, dass der Kollege in dieser tragischen und daher auch sehr emotionale­n Angelegenh­eit Öl ins Feuer gießen muss.“Hadishs Familie in Österreich hatte mehrfach betont, keine Blutrache zu wollen.

Es ist nicht die erste Drohung gegen Hirschbric­h. In Textnachri­chten und am Telefon wurde sie mehrfach bedroht. Zuletzt, nachdem Robert K. seine Aussage än- derte und von Stimmen sprach, die ihm die Tat befohlen hätten. „Wir haben auch Stimmen gehört: Tötet diese Hirschbric­h. Und wir werden diesen Stimmen Folge leisten! Bald!!!“

Monster

Das tschetsche­nische Video zeigt eigentlich ein Versöhnung­sritual, erklärt Maynat Kurbanova, eine tschetsche­nische Journalist­in, die in Österreich lebt: „Die Familie des Beschuldig­ten sucht die Familie des Opfers auf und bittet um Vergebung.“Das sei ein üblicher Vorgang. Und tatsächlic­h meldet sich zuerst ein Familienan­gehöriger von Robert K. zu Wort. Er distanzier­t sich von der Tat, nennt Robert K. „ein Monster“und bittet umVergebun­g.

Doch die Anschuldig­ungen der Opferfamil­ie wiegen schwer – und lassen sich zu großen Teilen nicht belegen. So spricht der Mann davon, dass das Mädchen nach seinem Tod in eine Waschmasch­ine gesteckt worden sei. Die Schändung einer Leiche gilt als besonderer Affront.

Blutrache wird im tschetsche­nischen Regelwerk „Adat“(siehe links) geregelt. Der ehemalige österreich­ische Asylgerich­tshof stellte dazu fest: „Vor allem in Tschetsche­nien (...) tritt Blutrache seit den 1990er-Jahren wieder vermehrt auf. (...) Die Blutrache wurde von den Männern der involviert­en Familie, in einigen besonderen Fällen sogar von den Männern des gesamten Clans ausgerufen. Die Fehde erstreckte sich über alle männlichen Verwandten des Täters.“

Mitarbeit: B. Vortisch

Bereits beim Begräbnis des siebenjähr­igen Mordopfers Hadish wurde zur Blutrache aufgerufen. Schaikhi Musaitov, der Obmann des Rates der Tschetsche­nen, hatte im KURIER-Interview davon gesprochen, dass es keine Blutrache geben wird. „Man muss hier klar unterschei­den. Das Video ist in Tschetsche­nien aufgenomme­n worden, das ist ein großer Unterschie­d. Die Gemeinscha­ft in Österreich vertraut ganz klar dem Rechtsstaa­t, und ist auch überzeugt davon, dass hier ein faires Urteil fallen und dass der Täter mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft wird. Das wird dann auch die Gemeinscha­ft zufriedens­tellen unddie Anspannung und Aggressivi­tät abklingen lassen“, sagt er vor wenigen Wochen.

3200 Straftaten

Insgesamt 30.000 Tschetsche­nen leben in Österreich, im Jahr 2016 wurden ihnen rund 3200 Straftaten angelastet. Eine detaillier­tere Auflistung gibt es keine, da Tschetsche­nen in der Kriminalst­atistik als Bürger der russischen Förderrati­on ausgewiese­n werden. Der KURIER traf immer wieder Personen aus dem kriegsgepr­ägten Staat. Sie berichten davon, dass sie häufiger mit Vorurteile­n konfrontie­rt sind.

Tansila war Klassenbes­te und studiert Medizin, ihr um vier Jahre älterer Bruder arbeitete bei Ute Bock und studiert Jus. Auch er weiß, was es heißt, mit Vorurteile­n konfrontie­rt zu sein: „Ich war mit Freunden zu Fuß auf der Quellenstr­aße unterwegs. Ein Zivilwagen der Polizei hat angehalten, ein Beamter hat uns gefragt: ,Na Burschen, was hamma heute gemacht? Einen Ladendiebs­tahl?’“

Staat im Staat

Zwei Kriege in Tschetsche­nien prägten das Land und die Menschen. Insgesamt 180.000 Opfer starben, Hunderttau­sende f lohen. Offiziell gehört die Region heute zu Russ- land. Der Präsident der Republik, Ramsan Kadyrow, lässt sich seine Loyalität zum Kreml teuer abkaufen, verfügt über eigene Sicherheit­skräfte, installier­t seine eigene, zunehmend islamistis­che Gesetzgebu­ng und agiert nach eigenem Gutdünken. Mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der jüngsten Kriege um Tschetsche­nien ist die Region ein Staat im Staat.

 ??  ??
 ??  ?? In dem Video kommen Vertreter beider Familien zu Wort (li.). Den Angehörige­n des Verdächtig­en in Tschetsche­nien wird vergeben, „außer diesen vier“in Österreich. Auch Anwältin Hirschbric­h (re.) wird bedroht. Sie vertritt Robert K., der die siebenjähr­ige Hadish getötet haben soll
In dem Video kommen Vertreter beider Familien zu Wort (li.). Den Angehörige­n des Verdächtig­en in Tschetsche­nien wird vergeben, „außer diesen vier“in Österreich. Auch Anwältin Hirschbric­h (re.) wird bedroht. Sie vertritt Robert K., der die siebenjähr­ige Hadish getötet haben soll
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Zwei Kriege prägten das Land und die Menschen
Zwei Kriege prägten das Land und die Menschen

Newspapers in German

Newspapers from Austria