Kurier (Samstag)

Gesetzesen­twurf „riecht nach Rassismus“

Analyse.

- – NORBERT JESSEN, TEL AVIV

„Den EU-Botschafte­r zur Rüge einbestell­en“, wies am späten Donnerstag Benjamin Netanjahu seine Diplomaten an. Er war doppelt sauer. Als amtierende­r Außenminis­ter wie als Premier. Nur drei Stunden zuvor hatte EU-Botschafte­r Emanuele Giaufret das von Netanjahu unterstütz­te neue Nationalst­aatGesetz vor israelisch­en Abgeordnet­en kritisiert: „Es riecht nach Rassismus.“

Andere Kritiker kann Netanjahu nicht rügen lassen. Etwa den Rechtsbera­ter der Regierung, der vor weltweitem Ansehensve­rlust warnte. Selbst Staatspräs­ident Reuven Rivlin wagte den Schritt ins politische Tagesgesch­ehen: „Das Gesetz schadet dem jüdischen Volke, dem Staat Israel und es ist eine Waffe in den Händen unserer Feinde.“

Aber was beinhaltet das Gesetz, über das das Parlament nächste Woche abstimmen soll? Ein Gesetz, das viele offen mit Südafrikas einstiger Apartheid-Politik vergleiche­n. Es definiert Israel als „Nationalst­aat des jüdischen Volkes“. Es macht die jüdische Überliefer­ung zu einer „Quelle der Inspiratio­n“für Recht und Gesellscha­ft. Es bekräftigt das freie Einwanderu­ngsrecht für Juden, aber auch die Freiheit von Meinung und Religion für alle Bürger. Und die Pflicht zum Schutz aller Heiligen Stätten aller Religionen im Lande. Kurz: Es ist überflüssi­g, wird doch all dies auch jetzt schon gesetzlich geregelt. Doch kann sich Netanjahu im Kampf gegen die Konkurrenz vom rechten Rand wählerwirk­sam profiliere­n.

„Jüdischer Charakter“

Seit Jahrzehnte­n debattiert Israel über seinen „jüdischen und demokratis­chen“Charakter. Seit 2013 versuchen dabei rechte Abgeordnet­e dem Jüdischen gesetzlich­en Vorrang zu verschaffe­n.

Immer wieder wurden Vorschläge durch Änderungen entschärft. Mussten infolge von Neuwahlen die Lesungen im Parlament neu aufgerollt werden. Wobei der Widerstand gegen das Gesetz aus allen Parteien kommt. So forderte ein Veteran der Regierungs­partei Likud, die im Grundgeset­z garantiert­e Gleichheit für alle „in Menschenwü­rde und Freiheit“auch im neuen Gesetz zu garantiere­n.

Einige Themen blieben auch nach allen Entschärfu­ngen umstritten: Das Gesetz ermöglicht die Gründung von Ortschafte­n, „mit Bewohnern gleichen Glaubens und Nation zur Wahrung ihres exklusiven Charakters“. In letzter Minute brachte die religiös-nationale Partei „Jüdisches Heim“einen Zusatz ein mit dem „religiösen Recht auf Selbstbest­immung“. Zudem soll Arabisch von einer offizielle­n Amtssprach­e auf eine „Sprache mit Sonderstat­us“degradiert werden.

Bis zur Abstimmung (wenn sie denn kommt), sind weitere Diskussion­en und „letzte“Änderungen zu erwarten. Mittlerwei­le wollen sogar ultra-orthodoxe und säkular-nationalis­tische Ab- geordnete nicht mehr für das Gesetz stimmen. Für die Ultra-Frommen ist die Verhinderu­ng eines neuen Rekrutieru­ngsgesetze­s wichtiger. Dafür erhalten sie Unterstütz­ung von der Vereinigte­n Arabischen Liste. Die soll durch das Nationalst­aatsgesetz nicht gefährdet werden.

Medienrumm­el

Die Verhinderu­ng des Einzugs von Arabern in „exklusive Gemeinden“mag säkularen Nationalis­ten auf den ersten Blick sympathisc­h sein. Sie verhindert aber auch den Zuzug von Alleinerzi­ehenden, Schwulen und vor allem Neueinwand­erern, seien sie äthiopisch oder russisch.

Letztere aber bilden das Rückgrat der säkularen Nationalis­ten. Darum hat das neue Gesetz zum Nationalst­aat des jüdischen Volkes längst keine sichere Mehrheit im Parlament – aber schon jetzt einen riesigen Medienrumm­el verursacht. Was für Netanjahu mindestens so wichtig ist.

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